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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Schotter, Kies und heißem Asphalt.
    »Du hast dir wirklich noch nie Blumen gekauft?« Obwohl er mich so ausgiebig bespitzelt hatte, gelang es mir immer noch, ihn zu überraschen.
    »Mir selbst? Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil das immer in diesen Ratgebern für einsame Menschen steht. Kaufen Sie sich Blumen, denn Sie haben es verdient! Ich meine, wenn ein Mann in einem Buchladen ein Buch über Einsamkeit kauft, baggert ihn jede Frau in dem Laden an. Bei einer Frau laufen alle weg.«
    »Du bist also einsam.«
    »Ja, natürlich bin ich einsam. Wer ist das nicht?« Wir hatten die Radkappe fast erreicht. »Ich glaube, du bist zu jung, um das zu verstehen. Und da ist unsere Radkappe. Hoch mit dir!«
    Bevor ich aufstehen konnte, schnellte er in die Höhe wie ein russischer Turner und streckte seine Hände nach mir aus. Ich war dankbar, dass er mir hochhalf. Seine Hände waren glühend heiß und blut- und schmutzverkrustet. Meine Strumpfhose war hinüber, und irgendwie hatte ich es geschafft, mir einen Absatz abzubrechen. Ich bückte mich und riss ihn ab.
    Jeremy sagte: »Gib mir mal den anderen Schuh.« Ich gehorchte, und er brach auch diesen Absatz ab. »Da. Jetzt sind beide wieder gleich hoch.«
    »Danke. Lass uns einfach diesen Highway überqueren, ohne uns totfahren zu lassen, und dann bringe ich dich zur Sonne deiner Wahl.«
    Im Wagen drehte ich die Klimaanlage voll auf und spürte, wie mir das Blut die Halsschlagader hochstieg. In meinem Schädel pochte es. »Du musst was essen«, sagte ich. »Ich werd dir zu Hause etwas machen.«
    Er hielt meine Pfingstrosen im Schoß und blickte sehnsüchtig in die Sonne. Jetzt erst gestattete ich mir insgeheim die Frage:
    Ist Jeremy wirklich verrückt? Komm schon, Liz, sei vernünftig. Du bist eine alleinstehende Frau. Und er ist ein Unbekannter, den du in dein Leben lässt. Außerdem fragte ich mich, was es mit seinem offensichtlichen Hang zur Religiosität auf sich hatte. Das Vokabular hatte er zumindest drauf, und doch machte er nicht den Eindruck, als sei er das Sprachrohr irgendeiner speziellen Sekte. Vermutlich hatte es mit seiner Erziehung zu tun. Darüber mussten wir noch sprechen. Und natürlich stellte sich die Frage nach Drogen oder Medikamenten. »Nimmst du irgendwelche Medikamente?« »Nein.«
    »Dann will ich es mal anders ausdrücken: Musst du irgendwas nehmen, hast es aber abgesetzt?« »Nein.«
    »Magst du Pudding?« »Was?«
    »Schokoladenpudding. Ich habe nur weiches Essen in meiner Wohnung.« Ich deutete auf meine Wange. »Die Weisheitszähne.«
    Wir stiegen aus dem Wagen und gingen schweigend zur Eingangstür. In der Lobby war es so kühl wie an dem Nachmittag, als ich vom Kieferchirurgen zurückgekommen war. Im Aufzug sagte ich: »Drück du mal den Knopf.« Als wir in meinem Stockwerk ankamen, stellte sich heraus, dass er auch die Nummer meiner Wohnung kannte.
    Er spazierte in der Wohnung herum und schaute sich alles an. Anders als Donna aus meinem Büro machte Jeremy niemandem etwas vor. »Ich war in meinem Leben in drei Waisenhäusern, und diese Wohnung ist deprimierender als alle drei zusammen.«
    »Das ist mir egal. Ich habe keinen Sinn für Schönheit.«
    »Aber die Blumen gefallen dir, oder?« Er legte die Pfingstrosen auf die Spüle.
    Ich wühlte in einem Unterschrank nach etwas, das ich als Vase verwenden konnte. »Als Single«, sagte ich, »bekommt man keine Vasen geschenkt. Ich finde, alle Singles sollten Vasen vom Staat gestellt bekommen.«
    Er sagte »Hier« und nahm eine Keksdose mit einem Hochzeitsbild von Charles und Di vom Kühlschrank. »Die ist wasserdicht, die nehmen wir. Ich schneide die Stiele an. Nimm meine Hand.« Er zog mich hoch. »Die duften aber gut, diese Pfingstrosen. Wie eine Mischung aus Omaparfüm und Zitrone.«
    Er hielt mir eine unter die Nase. Bis dahin hatte ich den Geruch von Pfingstrosen nie wahrgenommen. Ich musste an flauschige Sommerwölkchen denken.
    »Früher musste ich mich immer um die Blumen in der Kirche kümmern, in die eine meiner Pflegefamilien mich gesteckt hat. Beim Arrangieren der Sträuße konnte ich mir Zeit lassen und mir den Teil ersparen, in dem die Leute in Zungen redeten. Nicht alles, aber das meiste davon.«
    Rasch und präzise schnitt er die Stiele an. Vor meinen Augen verwandelte er eine alte Keksdose und einen Strauß Blumen in das einzig wirklich Schöne, was meine Wohnung je gesehen hatte. Dann sagte er: »Da. Hast du nicht was von Essen gesagt?«
    Plötzlich wirkte meine Wohnung lebendig.

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