Eleanor Rigby
den Wochen nachdem ich den Toten gefunden hatte, war ich ziemlich vergrätzt. Es ärgerte mich, dass die Polizei überhaupt nicht daran interessiert war, sich von mir bei der Suche nach Beweisen und der Aufklärung des Mordes helfen zu lassen. Meiner Meinung nach war ich als Finderin der Leiche selbstredend dazu berechtigt. Ich fand, die Polizei rückte nicht genug Einzelheiten über dieses Verbrechen heraus, das in meinen Augen ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse gewesen wäre: ein Holzfäller im Fummel, der in zwei Hälften zerteilt an den Bahngleisen nördlich der Horseshoe Bay aufgefunden wurde. Ich habe den Verdacht, dass die Polizei von West Vancouver lange vor dem Rest der Bevölkerung über eine Rufnummernanzeige verfügte. Sie schienen stets im Voraus zu wissen, dass ich es war, die anrief. Jedes Mal wurde ich von einer herablassenden Telefonistin abgewimmelt. Also verlegte ich mich darauf, mit dem Bus zur Polizei von West Vancouver zu fahren, wo ich persönlich abgewimmelt wurde. Daher begann ich, andere Polizeiwachen in anderen Zuständigkeitsbereichen abzuklappern und irgend jemanden zu verlangen, der mir zuhören würde. Damit hatte ich Erfolg, wenn auch nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Polizei muss es lustig gefunden haben, dass ein pummeliges kleines Mädchen auftauchte und sie bat, ein Verbrechen am anderen Ende der Stadt aufzuklären. Das muss die Chance für sie gewesen sein, Kollegen zu verulken.
Als die zuständige Polizei endlich reagierte, empfand ich Genugtuung. Allerdings nicht lange. Zwei Beamte standen bei uns vor der Tür. Sie erzählten mir so viel über das Verbrechen, wie sie konnten — also nicht viel —, und baten dann meine Eltern, mich an der kurzen Leine zu halten. Ob meine Eltern mich verteidigten? Nein. Ihr Gesprächsbeitrag bestand eher aus Sätzen wie:
Wir hätten sie ins Ferienlager schicken sollen.
Wann fängt denn die Schule wieder an?
Sie hat einfach zu viel Freizeit.
Es tut uns leid. Wir werden dafür sorgen, dass sie Sie nicht mehr behelligt.
Während ich Nachforschungen über meine Leiche angestellt hatte, waren meine Geschwister natürlich damit beschäftigt gewesen, sich zuzukiffen, mit dem anderen Geschlecht herum zu experimentieren, nach Ladenschluss auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums Schleudermanöver zu üben, Vaters Smirnoff abzugießen und die Flasche mit Leitungswasser aufzufüllen, mit Luftgewehren auf Cabrios zu schießen und Herbstklamotten zu klauen. In gewisser Weise waren sie eine Inspiration für mich.
Kurz nach meinem letzten Besuch bei der Polizei ging ich bei uns in der Nachbarschaft Heidelbeeren suchen. Bei den Adams, ungefähr zehn Häuser von unserem entfernt, blieb ich stehen. Ich wusste, dass die Adams-Kinder nach Alberta gefahren waren und Mr. und Mrs. Adams beide arbeiteten. Ohne zu überlegen, ging ich die Auffahrt hoch und klopfte an die Haustür. Falls jemand öffnete, würde ich sagen, ich wolle die Kinder besuchen. Aber es machte niemand auf. Ich ging nach hinten zur Garage und klopfte dort an die Küchentür, doch wieder reagierte niemand. Ich fasste den Türknauf an. Es war offen — und so ging ich hinein.
Oh, dieses Gefühl, ganz allein an einem Ort zu sein, an dem ich nicht hätte sein sollen! Dieser köstliche Duft eines fremden Hauses! Das erinnerte mich daran, wie es bei uns zu Hause roch, wenn ich nach den Ferien durch die Tür trat - als wäre ich zum ersten Mal dort. Ich kam mir vor wie ein Polizist, der eine Spur verfolgt. Oder wie ein Geist, der zurückgekehrt war, nicht um zu spuken, sondern nur um sich an die Welt zu erinnern, wie sie einmal war.
Von diesem ersten Eindringen in das Haus der Adams an waren meine Sommer, die sich ansonsten ereignislos hinzogen, von gelegentlichen Einbrüchen geprägt. Ich spazierte also durch unser Viertel, suchte mir ein Haus, in dessen Carport keine Autos standen, ging zur Haustür und klingelte. Wenn niemand aufmachte, versuchte ich die Tür zu öffnen, und zwei von drei Malen war nicht abgeschlossen. Dann rief ich: Kelly? Kelly, bist du da? Wenn jemand kam, dachte ich mir, konnte ich so tun, als hätte ich mich in der Haustür geirrt. Selbst wenn ich weglaufen sollte, war das Schlimmste, was passieren konnte ... nichts. Ich sah nicht wie eine Verbrecherin aus, und im Grunde war ich auch keine. Ich wollte nur an einem Ort sein, an dem ich eigentlich nichts zu suchen hatte, ich wollte meine Ruhe, und ich wollte irgendwas zu tun haben. In
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