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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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schlug er kurz die Augen auf, aber ganz offensichtlich waren ihm ungebetene Zuschauer nicht fremd, und er schlief wieder ein.
    Ich war total erledigt. Einstweilen würde das alte Muster des Schweigens, das Mutter und mich einte, bestehen bleiben. Wir umarmten uns kurz und verabredeten uns für den nächsten Tag.
    Als sie weg war, ging ich durch die Wohnung und machte überall das Licht aus. So muss es sich anfühlen, ein normaler Mensch am Ende eines Tages zu sein: kleine und große Dramen; Geheimnisse und Enthüllungen; Kaffeetassen und Teller mit angetrocknetem Essen. Nur die Lampe über dem Herd brannte noch. Ich setzte mich auf einen Küchenstuhl und starrte die Umrisse des Schlafenden auf der Couch an. War es wirklich erst wenige Tage her, dass ich geglaubt hatte, in diesem Zimmer könne es kein Leben geben?
    Jeremys Körper zuckte wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    »Alles in Ordnung, Jeremy?«
    »Ich weiß nicht.«
    Ich ging zu ihm und setzte mich neben die Couch. »Schlecht geträumt?«
    »Geträumt? Nein. Keineswegs. Es waren die Farmer, die ich vorhin schon gesehen habe.« »Oh. Okay. Was ist passiert?«
    »Wenn ich's dir erzähle, bleibt das aber unter uns, ja?«
    »Ja - aber darf ich dich erst noch fragen, woran du den Unterschied zwischen einem Traum und einer Vision erkennst?«
    »Ganz einfach: Bei einer Vision bin ich wirklich vor Ort. Das ist, wie wenn im Film jemand eine Zeitreise in die Vergangenheit macht. Alle halten ihn für verrückt, aber dann zieht er einen Ring oder so was aus der Tasche, und plötzlich wird den anderen klar, dass er die Wahrheit gesagt hat. Er war wirklich in der Vergangenheit. So ein Gefühl ist das.«
    »Okay. Was war denn nun mit den Farmern?«
    »Sie standen immer noch in ihren Latzhosen auf der Straße, schauten zum Himmel hinauf und warteten auf eine weitere Botschaft. Ich merkte, dass sie sich betrogen fühlten, dass sie verwirrt und vermutlich wütend waren. Dann hörten sie eine Stimme von der anderen Seite eines Hügels. Es war eine Frauenstimme, und als ich sie hörte, musste ich daran denken, dass Stimmen in Visionen sich eigentlich nur an jemanden wie Johanna von Orleans richten sollten, die mit himmlischem Beistand auf dem Scheiterhaufen brennt. Diese Stimme klang jedoch wie die Frau aus dem TV-Shop, die man anruft, um seine Sachen zu bestellen.«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Sie sagte, sie habe den Farmern etwas mitzuteilen, das ihnen nicht gefallen würde. Sie sagte, sie seien unfähig, den Unterschied zwischen Wachen und Schlafen zu erkennen.«
    »Darüber haben wir doch gerade gesprochen, oder?«
    »Keine Ahnung. Aber die Frauenstimme sagte den Farmern, sie hätten den Glauben daran verloren, dass sie die Welt verändern können. Sie fragten sie, was sie damit meinte, und sie sagte, die Farmer gingen einfach davon aus, dass es zwischen dem Leben ihrer Kinder und Enkelkinder und dem ihren keinerlei Unterschiede geben würde oder könnte.«
    »Hört sich an, als mussten sie sich zwischen Sicherheit und Frieden entscheiden.«
    »Irgendwie schon. Seltsam war nur, dass die Bauern das gar nicht scherte. Sie stimmten zu. Und dann belehrte die Stimme sie, dass es töricht sei, so zu denken, und dass deshalb die Pläne geändert werden müssten.«
    »Oh-oh.«
    »Die Stimme sagte ihnen, wenn man stirbt, ohne versucht zu haben, die Welt zu verändern, sei es das Gleiche, als habe man gar nicht gelebt. Sie würden bald etwas hören, das ihnen den Glauben an eine Zukunft zurückgeben würde.«
    Stille. Dann sagte ich: »Das war wirklich verrückt, was du da heute auf dem Highway getan hast. Es hat mir Angst gemacht.«
    »Tut mir leid. Aber wenn ich in diesen Zustand gerate, kann ich mich einfach nicht beherrschen. Doch jetzt muss ich wirklich schlafen.«
    »Gute Nacht, Jeremy.«
    »Nacht.«
    Was sollte ich nur von diesem seltsamen jungen Mann halten?

~29~
    In den wenigen verbliebenen Wochen des Sommers nach Jeremys Geburt waren Mutter und ich zwar nicht verfeindet, aber Freundinnen waren wir auch nicht.
    Wir waren beide froh, als Mutter im lokalen Anzeigenblatt auf eine geschiedene Frau namens Althea stieß, die in ihrem Keller unten am Meer Malunterricht gab. Sie war eine alternde, zerstreute Fruchtbarkeitsgöttin, die immer mit einem Schultertuch herumlief. Ihre Schüler, die alle, viel älter waren als ich und alle emotional völlig verkorkst -, fanden sich jeden Morgen um elf bei ihr ein, und wir komponierten Stillleben aus Altheas Flaschen vom Vorabend. Ungefähr um

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