Eleanor Rigby
zwei, wenn die Gin-Kopfschmerzen unserer Lehrerin sich verflüchtigten, gingen wir mit unseren Malpappen hinaus in die pralle Sonne über den Felsen beim Lighthouse Park, wo wir Erdbeerbäume, von Salz und Wind deformierte Zedern, das ruhige August-Meer und vielleicht auch ein paar versprengte Wolken malten. Wir hockten grüppchenweise zusammen, und da wir die siebziger Jahre schrieben, rieben mir all diese gestörten Erwachsenen ihre multiplen Orgasmen, Erektionsstörungen und ihren Kokainmissbrauch unter die Nase. Ich war noch nicht mal imstande, meinen Malspachtel richtig zu handhaben, als eine modelnde Unschuld vom Lande mir schon anvertraute, wie viel Sex und Kokain sie am Wochenende zuvor konsumiert hatte und wie sehr sie das alles aufrieb, »aber Kokain macht ja nicht süchtig ...«All diese Siebziger-Jahre-Lügen. Meine Gemälde waren der letzte Dreck und wurden schon längst bei einem Garagenflohmarkt verkauft, und bestimmt hat irgendein kleiner Schlauberger sie in einem Secondhand-Laden der Heilsarmee gefunden und als absurdabscheuliche Geschmacklosigkeiten aufgehängt - denn das waren sie.
Meine Eltern und ich haben William und Leslie natürlich nie etwas von dem Baby erzählt. Es war einfach leichter, es nicht zu tun. Ich hatte in der Familie die Rolle der alleinstehenden Tante inne, der Pflichtbewussten, die die Kühe melkt und die Hühner füttert. Dass ich ein Kind hatte, stand nicht in dem Drehbuch, das jedem von uns zugeteilt worden war.
Das Gute an Mutters Sprunghaftigkeit war, dass William und Leslie das noch unberechenbarere Verhalten, das sie nach der Geburt an den Tag legte, nur für eine schlimme Phase hielten und es nicht weiter beachteten.
Vater stürzte sich in seine Arbeit im Ingenieursbüro und war die meiste Zeit nicht zu Hause. In meiner Gegenwart war er still, aber nicht stiller als sonst. Dann und wann seufzte er, aber ich glaube, er war bald über die Sache hinweg. Mutter jedoch hatte niemanden, mit dem sie sprechen konnte, und die Geburt setzte ihr viel mehr zu als mir. Teenager sind oft kaltherzig und vergessen schnell, und in dieser Hinsicht bildete ich keine Ausnahme. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass Mutter die Sache nicht so einfach wegstecken könnte. Heute lässt mich meine Dickfelligkeit schaudern, aber was geschehen ist, ist geschehen.
~30~
Ach — bevor ich's vergesse: Von dem ganzen Schwung Abtreibungen, die in den Monaten nach der Italienreise stattfanden, hat meine Mutter nie erfahren. An der Schule wusste jeder, sogar Außenseiter wie ich, dass die Mädchen, die regelmäßig zur Elf-Tankstelle gegangen waren, Souvenirs mit nach Hause gebracht hatten. Insgesamt waren es vier. Ich besitze noch ein Foto von den Elfen, die vermutlich auf der ganzen Welt Nachkommen haben. Das Foto habe ich einen Tag vor unserer Abreise gemacht. Unser Bus hatte den Geist aufgegeben, und da wir in der Jugendherberge festsaßen, gingen wir zur Tankstelle, um ein Gruppenfoto zu machen. Das Bild ist inzwischen vergilbt, und man kann die stinkende, lärmende autostrada gleich neben der Tankstelle erahnen. Etwas ist in den Augen der Mädchen. Sie hatten sich verändert.
~31~
Nachdem Jeremy in jener Nacht wieder eingeschlafen war, wachte er gut eine Stunde später völlig verschwitzt wieder auf. Ich weiß nicht, ob er überhaupt wusste, dass ich da war, aber er sagte: »Die Frauen auf den Veranden! Oh! Plötzlich sind sie viel schöner als vorher. Sie haben weiße Morgenmäntel an. Auf den Geländern stehen Blumenvasen, und in ihren Haaren stecken Margeriten und Kornblumen. Diese schönen Frauen fragen die Stimme, was sie nun tun sollen.« »Und was ist das?«
»Ihnen wird eingeschärft, dass wir alle krank sind, jeder auf seine Weise ... und dass das Leben Arbeit ist ... und man oft das Gefühl hat, eher durch Zufall als für eine Leistung belohnt zu werden. Und dass sie ihr Geschenk nicht bekommen werden - nicht in jenem Jahr -, sondern erst den Winter überstehen müssen.«
»Und?«
»Da verstummt die Stimme. Die Männer und Frauen haben Angst. Es ist zu spät, die Felder zu bestellen. Ihre Vorräte haben sie vernichtet. Sie wissen, dass der Winter bald kommen wird, und sie haben keine Ahnung, was sie tun sollen.«
Jeremy wurde still und schlief dann wieder ein.
Es ist ein Grundgesetz des Familienlebens, dass Kinder mit siebzehn, achtzehn Jahren das dringende Bedürfnis verspüren, ihre Tanten, Onkel und Cousins in den entlegensten Winkeln des Landes kennenzulernen und sich mit
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