Eleanor Rigby
mit deren Hilfe er die ältesten Einwohner eines Landes findet. Wer unter 110 ist, braucht William gar nicht erst die Zeit zu stehlen. Es gibt noch nicht mal ein Wort für Menschen der Altersklasse, für die William sich interessiert. Einhundertzehnsomethings? Nein. William sagt, all diese knarzenden alten Hexen und Mummelgreise haben eines gemein: Sie verlangen fast immer tausend US-Dollar, für die sie dann bereitwillig eine Ampulle mit DNS-gesättigtem Blut spenden.
Was er mit diesem Blut macht? Es wird in Kühltaschen voll Trockeneis nach Hause geschickt - oder vielleicht auch geschmuggelt. Dort werden die Proben herausgenommen und in eine Zentrifuge oder irgendein anderes abgefahrenes Gerät gesteckt. Auf diese Weise hofft Immu-Dynamics herauszufinden, was all diese alten Menschen so lange leben lässt. Sie glauben, wenn sie das Gen, das sie zu finden hoffen, vervielfältigen und eine Art Baustein daraus machen, können sie es genau dort in die DNS eines Kranken einfügen, wo es benötigt wird, so wie man ein Sandwich mit einer Scheibe Schmelzkäse oder Mortadella belegt. William sagt, jede Familie habe mindestens zwei Schwachstellen: ein labiles Herz, eine Veranlagung für Brust- oder Prostatakrebs, eine träge Leber, Alzheimer oder was auch immer. Wenn man diese Schwachstellen repariert, geht das Leben immer weiter. Offen gesagt verstehe ich den Sinn des Ganzen nicht, wo doch das Leben so scheußlich, bestialisch und trostlos ist; aber andererseits bin ich auch nicht der sechsundachtzigjährige Gründer eines der fünfhundert erfolgreichsten Unternehmen der Welt, der an einem gichtigen Zeh und Nierenkrebs leidet.
~36~
»William wird gleich hier sein.« »Aus Europa?« »Ja. Wie fühlst du dich?«
»Ich wette um fünfzig Dollar mit dir, dass ich ihm eine Matratze verkaufen kann.«
»William? Na, dann viel Glück.«
Als ich die Treppe hinunterging, hatte ich das Gefühl, Jeremy und ich wären zu Jahrmarktgauklern mutiert. Mein Bruder klopfte bereits an die Tür. »William, du siehst ja furchtbar aus.«
»Du auch. Ich bin sofort hergeflogen, als ich es gehört habe.«
»Das war aber nicht nötig gewesen.«
»Lass mir doch das Vergnügen, Lizzie.«
In der Wohnung stellte ich die beiden einander vor, und Jeremy schüttelte William von der Couch aus die Hand. Die Art, wie William die Augen zusammenkniff, sagte: Was für ein unhöflicher kleiner Mistkerl, der steht ja zur Begrüßung nicht mal auf.
»Jeremy hat MS, William.«
»Ach so! Wie furchtbar. Lizzie, hast du was zu saufen?«
»Ich hab eine Flasche Ouzo. Keine Ahnung, wie er schmeckt. Der steht hier schon seit der Reagan-Regierung.«
»Ich riskier's.« William drehte sich zu Jeremy um und musterte ihn. »Dann ist es also wirklich wahr. Du bist du.«
»Ja, ich bin ich.«
»Dann lass dich mal gründlich anschauen.« »Er ist doch kein Cockerspaniel, William ...« Jeremy sagte: »Lass nur, ist schon gut.« Er setzte sich kerzengerade hin.
Typisch Mann — William suchte in Jeremys Gesicht nur nach Ähnlichkeiten mit sich selbst. Als ich mit dem Ouzo und einem Glas hereinkam, sagte er. »Er sieht ein bisschen aus wie ich, findest du nicht?«
»Herrje. Du, du, immer nur du.«
»Mein Ouzo. Nun, besser als nichts.« Er prostete Jeremy zu. »Schön, dich kennenzulernen. Scheußlich, das mit der MS.« Er stürzte den Schnaps hinunter und sagte: »Auweia, das Zeug ist ja furchtbar. Schenk mir bitte noch einen ein.«
Halb im Scherz fragte Jeremy William, welcher Film im Flugzeug gelaufen sei.
»Irgendwas mit Zombies und Autounfällen. Am Ende retten Cheerleader mit Melonentitten die Erde.«
Jeremy sagte: »Ich fühle mich auch oft wie ein Zombie.«
»Tja, kein Wunder.«
»Das Einzige, was hilft, ist, eine Nacht durchzuschlafen.« »Das überrascht mich nicht.« »Ja, guter Schlaf ist entscheidend.«
Ziemlich raffiniert von ihm, so knallhart zum Verkaufsgespräch überzugehen. Ich sorgte für einen kurzen Umweg, indem ich fragte: »Was hat es eigentlich mit Zombies auf sich — weiß das jemand?«
»Wie meinst du das?«
»Zombies sind ganz normale Menschen, bis sie von einem anderen Zombie gebissen werden. Warum sterben sie nicht einfach, wenn sie gebissen worden sind? Warum müssen sie auch Zombies werden?«
Jeremy sagte: »Wenn du zum Zombie wirst, löst sich deine Seele in Luft auf. Es gibt keinen Himmel und keine Hölle für dich — rein gar nichts. Deshalb sind Zombies so furchterregend. Plötzlich hast du zu allem, was unter der
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