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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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ist die Tageszeit, in der Einsamkeit besonders schwer wiegt. Wenn ich beim Nachrichtengucken um sechs nicht in ausgesprochen guter Verfassung bin, versinke ich in einem Nebel der Einsamkeit — außer wenn es einen Beitrag über einen Hund gibt, der in eiskaltem Wasser zu ertrinken droht, dann fange ich nämlich an zu flennen. Wenn es noch schlimmer kommt, esse ich einen ganzen Teller Zimtbrötchen aus der Mikrowelle auf einmal auf, setze mich dann ins Auto und fahre durch die Gegend. Auf solchen Touren verfalle ich leicht auf Psychospielchen mit anderen Autofahrern, die ebenso einsam sind wie ich. Ich bin schon dem einen oder anderen Widerling durch ein ganzes Unwetter hindurch hinterhergefahren, nur um ihm Schäm dich! entgegenzukreischen, weil er in der Nähe des Deep Cove eine Zigarettenkippe aus dem Fenster geworfen hatte. Ich weiß nicht, was ich damit erreichen will. Irgendwas geht dabei in mir vor, ich wünschte nur, ich wüsste, was.
    Als die Nachrichten zur Hälfte um waren, direkt nach einem Burger-King-Werbespot, kam ein Beitrag über Fleischproduktion. Ich bin Fleischfresser, aber wie viele Menschen der heutigen Zeit bekomme ich Zustände, wenn ich zu viel darüber nachdenke.
    »Warum hast du gerade so ein komisches Geräusch gemacht?«
    »Fleisch.«
    »Hör bloß auf.«
    Für mich sagt Fleisch allerdings viel über den menschlichen Körper aus. Wir alle stecken in unseren fleischlichen Körpern. Ich habe immer geglaubt, dass durchschnittliche Menschen sich in ihrem Körper wohl fühlen, während einsame Menschen sich danach sehnen, ihn loszuwerden. Ich habe den Verdacht, dass einsame Menschen alles, was mit Fleisch und Knochen zu tun hat, am liebsten komplett aus ihrem Leben streichen würden. Wir sind diejenigen, die am ehesten an Reinkarnation glauben, einfach weil wir es nicht fassen können, dass wir in unserem Fleisch eingesperrt sind. Wer einsam ist, wünscht sich, tot zu sein, und doch sind wir noch nicht wirklich bereit zu gehen - wir wollen nichts verpassen; wir wollen sehen, wer nächstes Jahr den Oscar gewinnt. Genauer gesagt sehnen wir Einsamen uns wie alle menschlichen Wesen danach, den Einen zu treffen, der es uns leichter macht, in diesem Zwinger aus Fleisch und Knochen gefangen zu sein, in dem bei unserer Spezies die Seele eingesperrt ist. O Gott, ich höre mich an wie ein Gefängniswärter.
    Das Telefon klingelte, aber Jeremy und ich ignorierten es. Vermutlich war es Mutter oder Leslie.
    Tja, meine Familie - sie hat kein Verständnis dafür, wie ich mich als Single fühle. Ich bezweifle, dass Leslie und William sich auch nur an einen Moment in ihrem Leben erinnern können, in dem sie nicht mit jemandem zusammen waren. Mutter? Sie hat nach dem Autounfall meines Vaters nicht wieder geheiratet. Dann und wann geht sie mal mit jemandem aus, aber jedes Mal kommt ihr der Hang, das Leben ihrer Enkelkinder bis ins Letzte durchzuorganisieren und ihre kleinlauten Freundinnen zu schikanieren, dazwischen. Ich glaube nicht, dass sie sich jemals einsam fühlt, aber andererseits wusste ich auch nicht, dass sie in einem Schrank für Jeremy gebetet hat.
    Leslie hat einen Ehemann — Mike, den Busenfetischisten — und ihre Kinder. Ich glaube, wenn sie in ihrem Geländewagen unterwegs ist, muss sie die ganze Zeit das Gaspedal durchtreten, um nicht gezwungen zu sein, sich mal ganz in Ruhe mit ihrem Leben auseinanderzusetzen. Was sie dabei herausfindet, würde ihr vielleicht nicht gefallen. Schauen Sie mich an: Ich bin die typische verbitterte alte Jungfer — aber wer weiß schon, was in einer Beziehung vorgeht?
    »Jeremy, ich kann nicht mehr lange nicht ans Telefon gehen.«
    »Wie spät ist es denn?«
    »Halb sieben.«
    »Dann ruf zurück, aber denk dran: Du hast die Trümpfe in der Hand, nicht sie.«
    Als das Telefon das nächste Mal klingelte, nahm ich ab. Es war Ken, der Schlafberater. Er teilte Jeremy mit, er solle am nächsten Morgen um halb zehn da sein. Kaum dass ich aufgelegt hatte, rief William an.
    »Lizzie, ich bin's. Ich bin gerade aus Europa zurückgekommen, um meinen neuen Neffen kennenzulernen.«
    »Von wo rufst du an?«
    »Aus einem Taxi. Ich bin fünf Blocks entfernt. Komm runter und lass mich rein. Mutter sagt, deine Klingel ist kaputt.«

~35~
    Das Unternehmen, bei dem William arbeitet, heißt Immu-Dynamics. Der Name klingt, als wäre sein Leben langweilig, aber so ist es nicht. William reist in der ganzen Welt herum, besticht Regierungsbeamte und verschafft sich Zugang zu Datenbanken,

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