Eleanor Rigby
erinnerst dich nicht an mich?« »Nein.«
Klaus schaute Rainer an. »Herr Bayer, bestimmt haben Sie Elizabeth gefunden.«. »Das ist richtig.«
»Aber auch wenn Sie sie gefunden haben, warum um alles in der Welt haben Sie sie überhaupt gesucht? Sie ist ein« - er blickte zu mir herüber - »glücklicher Abend aus meiner fernen Vergangenheit.«
»Es ist mein Job, alle möglichen Spuren zu verfolgen.«
»Spuren? Spuren wohin?« Klaus wandte sich zu mir um. »Elizabeth, wieso bist du den ganzen Weg von Kanada nach Wien gekommen — da wohnst du doch noch, oder?«
»Ja.«
»Warum bist du von so weit her gekommen, um jemanden zu treffen, an den du dich gar nicht erinnerst? Ihr seid mir alle beide ein Rätsel.«
Ich fand es zu früh, Jeremy jetzt schon zu erwähnen. Mir fehlten die Worte. Ich wusste nicht, ob ich diesen Mann umbringen oder seinen Hals lecken und ihm die Zunge ins Ohr stecken wollte.
Er wirkte ernsthaft bestürzt, dass ich mich nicht an ihn erinnerte. Er fragte mich: »Was hat Mr. Bayer dir denn über mich erzählt, um dich herzulocken?«
Ich sagte: »Nicht viel. Dass du Frauen religiös ... belästigst. Das ist vielleicht der falsche Ausdruck. Aber du weißt bestimmt, was ich meine.«
»Allerdings, aber das mache ich nicht mehr.«
Hier mischte Rainer sich ein. »Wie meinen Sie das?«
»Ich habe ein Medikament bekommen. Paroxetin. Das nehme ich seit drei Wochen, und es hat bereits den Teil meines Gehirns ausgeschaltet, der dafür verantwortlich ist.«
Rainer hatte Zweifel. »Das ist doch Unsinn, Herr Kertesz.«
»Wenn Sie meinen, bitte. Aber ich bin heute Morgen zwei meiner ehemaligen, äh, Freundinnen begegnet, und ich hatte nicht den Wunsch, mit ihnen zu reden. Man hat bei mir eine Zwangsneurose diagnostiziert, und diese Krankheit lässt sich heutzutage, im Jahr 2004, ziemlich gut in Schach halten. Fünfzehn Jahre Freud'sche Therapie, ein ganzes vergeudetes Erwachsenenleben für nichts und wieder nichts. Auf einmal bekomme ich diese kleine Pille, und schon bin ich so normal wie jeder andere auch. Elizabeth, hast du nicht irgendwelche Freundinnen, die in Panik geraten, wenn sie aus dem Haus gehen, und wieder hineinlaufen, um nachzusehen, ob der Herd aus ist?«
»Ja. Jennifer aus der Personalabteilung. Sie ist erst ruhig, wenn sie vier- oder fünfmal in die Kaffeeküche zurückgegangen ist. Einmal hat sie sich das Wort Aus auf den Unterarm geschrieben.«
»Genau das meine ich. Wenn ich mir so anschaue, was heutzutage für Medikamente entwickelt werden, bin ich sicher, dass es bald eines namens Herdex geben wird, speziell für Menschen mit einer Herd-Zwangsneurose.«
»Vermutlich hast du recht.«
»Danke. Könntest du mir jetzt bitte sagen, weshalb du wirklich gekommen bist?«
Rainer nickte mir zu. Ich griff in meine Handtasche und zog einen Packen Fotos von Jeremy heraus — Dutzende, die ich von ihm gemacht hatte (mitsamt seinem gewinnenden Lächeln), sowie die beiden traurigen Aufnahmen von seiner Sozialarbeiterin. Ich legte sie in einer langen Reihe auf dem Tisch aus. Die meisten hatte ich in der Wohnung aufgenommen, andere am Strand und eines an einem phantastisch klaren Tag auf dem Gipfel des Grouse Mountain, auf dem die Stadt hinter Jeremy glitzerte wie ein See im Sommer. Als Klaus' Blick auf das erste Foto fiel, hielt ich es für zartfühlend zu sagen: »Ich muss dir leider mitteilen, dass er gestorben ist, Klaus. Vor ungefähr sieben Jahren.«
Auch für einen religiösen Eiferer musste es furchtbar sein, so viele gute und schlechte Neuigkeiten auf einmal zu erfahren. Er setzte sich an den Tisch, nahm ein paar Fotos in die Hand und ich fragte mich, ob es richtig gewesen war herzukommen.
»Wie war sein Name?«
»Jeremy.«
»Was für ein Mensch war er?«
»Er war ein netter Kerl. Ich habe ihn erst vier Monate vor seinem Tod kennengelernt. Er ist gleich nach der Geburt adoptiert worden. Ich kannte ihn gar nicht, bis er mich gefunden hat.«
»Wie ist er gestorben?«
»An Multipler Sklerose.« Ich schaute in meine Handtasche. »Ich habe ein Video mitgebracht, aber auf europäischen Geräten läuft es nicht.«
Rainer sagte: »Wir können damit auf die Wache fahren. Unser Recorder spielt dieses Format ab.«
Rainer und ich nahmen Klaus gegenüber Platz. Aus Rücksicht ließen wir ihn sich die Fotos anschauen, ohne ihn dabei zu beobachten.
Rainer fragte, wie es meinem Kopf ginge. Ich sagte: »Schon viel besser. Ich glaube, es lag am Jetlag und all dem.« »Natürlich.« Das
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