Electrica Lord des Lichts
nach habt Ihr Euch hierher begeben?“ Cayden betrachtete ihn skeptisch.
„Och, naja …“ Smith schlug sich mit der flachen Hand auf seinen vorgewölbten Bauch. „Wir lagen in Oban vor Anker, als wir das Gerücht hörten, der Blutbaron sei unterwegs nach Duart Castle. Mal gut, dass wir Seeleute Gerüchten nachgehen. He he. Man munkelt, eine Blutfehde soll der Grund gewesen sein.“
Erwartungsvoll blickte Smith Cayden an. Anscheinend hoffte er auf weiteren Stoff für Seemannsgarn. Doch Cayden hielt sich bedeckt und lächelte.
„Eines Gerüchtes wegen habt Ihr Euch auf den Weg gemacht?“
Captain Smith Augen weiteten sich. „Nee. Das war nur ein Grund. Es liegt nun mal in der Natur meiner Gilde, zu entern. Erst dachten wir, der Blutbaron hätte ein Seeungeheuer in seiner Gewalt gehabt. Nicht auszudenken, was für eine Trophäe so ein Kelpie gewesen wäre.“ Smith zuckte die wuchtigen Schultern. „Aber was soll’s, ein fliegendes Schiff war eine ebenso unwiderstehliche Herausforderung.“
„Viel dürfte von Eurer Beute leider nicht übrig geblieben sein.“
„Och, da wird sich schon noch was finden. Es sei denn, Ihr erlaubt uns, das Wrack abzusuchen, wenn das Feuer erloschen ist.“
Sue sah, wie Cayden sich ein Schmunzeln verkniff. Smiths Ausführungen waren sehr fantasiereich. Kelpies waren ein fester Bestand des schottischen Volksglaubens. Gesichtet wurde noch keines der sagenumwobenen Wassergeister. Sie entsann sich, dass sie Caydens Automobil zunächst für ein Sagenwesen gehalten hatte, obwohl sie zum damaligen Zeitpunkt nicht an Märchen geglaubt hatte.
Mittlerweile musste sie diese Auffassung jedoch überdenken. Sie fragte sich, ob der Captain wusste, dass er sich soeben mit einem wahrhaft mythischen Wesen unterhielt. Ein Vampir in der Gestalt eines Lords, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, damit es von ihm gebrochen wurde. Beinahe wäre ihr ein nervöses Kichern entwichen. Ihr Verstand mühte sich ab, die vergangenen Geschehnisse zu sortieren. Jetzt, da der Schreck langsam nachließ, setzte unwillkürlich wieder der Schmerz in ihrer Brust ein. Dazu kam die Sorge um ihre Tante, von der sie immer noch nicht wusste, ob sie wirklich lebte. Oder wo sie sich aufhielt.
Inzwischen hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet. Sue streckte das Gesicht in den Regen, genoss die Frische und merkte kaum, wie sich ihre Kleider vollsogen. Sie hoffte, dadurch einen klaren Kopf zu bekommen. Die Flammen am Turm beugten sich dampfend unter den Wassermassen. Vielleicht war sie auch soeben dabei, verrückt zu werden. Es war ihr gleichgültig. Sie war so müde. Plötzlich wurde ihr alles zu viel. Schwindel brauste durch ihren Kopf, zu stark, um dagegen anzukämpfen. Es war schon schwer genug, das Zittern ihres Körpers zu ertragen. Ein unangenehmes Kribbeln zog durch ihre Fingerspitzen, die Arme hinauf bis zu ihrem Gesicht. Ihr Mund war staubtrocken. Ein schwarzer Schleier legte sich vor ihre Augen. Der Drang sich hinzulegen, einfach so, hier und jetzt, wurde übermächtig. Der Moosboden schien noch weicher zu werden. Sie taumelte, doch ihre Beine leisteten keine Gegenwehr. Sie fiel und wurde aufgefangen von kräftigen Armen. Sofort hüllte Caydens Duft sie ein. Seufzend versuchte sie, die Augen zu öffnen. Ihre Lider waren zu schwer. Wie aus weiter Ferne hörte sie seine Stimme.
„Sue, hörst du mich? Es wird alles gut, vertrau mir.“ Sein Atem streifte ihr Gesicht. Sie fühlte seine Hand auf ihrer Wange. „Babu, kümmere dich um sie. Sie muss ruhen. Sobald sie erwacht, bring sie zu Sean. Ich bin sicher, dass er weiß, wo sich ihre Tante aufhält.“
Sean? Tante Meggie? Sue verstand nicht, was er sagte. Seine Worte schwangen sinnfrei in Nebelschwaden davon, glitten in die alles umfassende Schwärze hinab. Es tat so gut, ihn zu hören. Ein letztes Mal.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Kapitel 16
D
en Londoner Bürger dieser Tage überraschte kaum etwas, seit der erste dampfbetriebene Bus seine Jungfernfahrt über die Liverpool Street zum Bahnhof unternommen hatte. In Ermangelung einer ausgereiften Technik wurde der Bus jedoch wieder aus dem Verkehr gezogen. Seitdem schienen sich sämtliche Neuerfindungen in Londons Straßen präsentieren zu wollen. Doch die Menschen in den Armenvierteln hatten keinen Sinn für die Skurrilitäten der besser betuchten Bürger. Sie kämpften tagtäglich ums Überleben in den restlos übervölkerten Stadtrandgebieten.
Cayden lenkte den
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