Electrica Lord des Lichts
Wagen in gedrosseltem Tempo über die nächtlichen Straßen von Hertfordshire. Es war einfach gewesen, die Information über Luthias Quartier in den Köpfen seiner seelenlosen Diener zu lesen, bevor sie ihr Leben ausgehaucht hatten. Wo kein Verstand mehr war, gab es keinen Widerstand. Es überraschte ihn nicht, dass Luthias die Katakomben des Herrenhauses in London gewählt hatte. Immer schon pflegte der Baron einen sentimentalen Hang zu den von ihm erbauten Häusern. Cayden konnte die Strecke im Schlaf fahren, da sich am Straßenverlauf der Stadt in den vergangenen Jahren nichts geändert hatte.
Die Scheinwerfer bahnten sich ihren Weg durch dicke Nebelschwaden. Kaum ein paar Yards weit reichte die Sicht in der einem türkischen Dampfbad ähnelnden Umgebung. Graue Häuserfassaden verschwanden hinter einer Regenwand. Selbst die milchigen Lichtkegel der wenigen beleuchteten Fenster drohten weggewischt zu werden von den unablässigen Fluten, die der verhangene Himmel von sich gab. Regentropfen trommelten auf das Autodach, während das Wasser wie aus Kübeln gegossen über die Windschutzscheibe lief.
Für gewöhnlich pflegte Cayden einen Ort zu verlassen, wenn die Lage unbequem wurde oder seine Identität drohte aufgedeckt zu werden, weil es naturgemäß irgendwann auffiel, dass er nicht alterte. Bislang stellte diese Notwendigkeit, sich für ein paar Jahrzehnte aus dem Empire zurückzuziehen, keine Probleme dar. Meist kehrte er nach einer abwechslungsreichen Etappe aus einem fernen Land zurück, sobald die Geschehnisse in Vergessenheit geraten waren. Dieses Mal jedoch war der Zeitpunkt für einen Wechsel denkbar ungünstig. Er hatte nicht vor, sich erneut seinem vermeintlichen Schicksal zu beugen. Jetzt nicht.
Eine sterbliche, tapfere Frau war in der Lage gewesen, ihn zu befreien, obwohl ihm nicht klar war, wie intensiv er unter Luthias Einfluss gestanden hatte. Der Baron war nie wirklich tot gewesen und seine mentalen Kräfte hatten stets wie eine dunkle Wolke auf seinem Gemüt gelastet.
Zunächst war er schockiert, als Sue angedroht hatte, Alices Asche zu verstreuen. Umso mehr überraschte ihn die Erkenntnis, wie Alice bleiches Antlitz, umrahmt von schwarzem Haar, vor seinem inneren Auge aufgetaucht war, um augenblicklich von Sues strahlendem Licht in die Schattenwelt zurückgedrängt zu werden. Überwältigt von der Gleichgültigkeit gegenüber seiner einstmaligen Geliebten fokussierte sich seine gesamte Aufmerksamkeit auf Sue.
Diesem Leuchten, das sie umgeben hatte wie das Licht am Ende eines Tunnels. Ihre Entschlossenheit hatte ihn zutiefst berührt, doch ihre traurigen Augen gingen ihm nicht aus dem Sinn. Es lastete schwer auf seinem Gewissen, ihr derart herzlos zugesetzt zu haben. Inständig hoffte er, sie möge ihm verzeihen, wenn er nach Lochdon zurückkehrte. Unter Luthias Einfluss war er in der Lage gewesen, Sue auf diese unverzeihliche Weise von sich zu weisen. Besonders als dieser unmittelbar vor ihm gestanden hatte. Doch es gab keinen anderen Ausweg. Er musste es tun, um Luthias Aufmerksamkeit von ihr abzulenken. Auch er hatte das Gefühl, ihr Herz brechen zu hören und er wusste nicht, ob es ihm bei seiner Rückkehr gelingen würde, ihr Vertrauen wiederzuerlangen. Mit dem Untergang seines Mentors war die harte Schale um sein Herz gebrochen. Beinahe wäre er eingeknickt unter dem überwältigenden Gefühl reinster Liebe. Im richtigen Moment war sie in den Kampf eingeschritten, denn ohne sie wäre es zu einem endlosen Schlagabtausch ausgeartet, dem er letztendlich unterlegen gewesen wäre. Luthias Kräfte waren bereits wieder gestiegen, was er deutlich durch den Schaft des Schwertes in dessen Brust verspürt hatte. Ebenso drohte sein Mentor erneut seinen mentalen Einfluss auf ihn anzusetzen. Zweifellos wäre es ihm kein weiteres Mal gelungen, sich dem zu widersetzen. Dass es ihm überhaupt gelungen war, schien er einzig dem tiefen Empfinden gegenüber Sue zu verdanken.
Noch im Nachhinein durchfuhr ihn die Panik bei dem Gedanken, wie sie dort gestanden hatte, mit den beiden Funken sprühenden Kabeln in der Hand. Eine falsche Bewegung und die Electrica hätte sie mit der Kraft eines Blitzes niedergestreckt. Erstaunlicherweise wusste sie um die Gefahr oder ihr Instinkt hatte sie befähigt, seinem Befehl, die Arme auszustrecken, auf der Stelle Folge zu leisten, damit sie nicht mit der Energie in Berührung kam. In dem Moment, als er sie Babunas Obhut überließ, hatte er eine Entscheidung getroffen. Sie
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