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Electrica Lord des Lichts

Electrica Lord des Lichts

Titel: Electrica Lord des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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lichtende Qualm wollte sie glauben machen, das Ganze wäre eine Illusion gewesen. Doch ihre Fingernägel hatten sich fest in die Baumrinde gekrallt.
    Ein beißender Geruch drang ihr in die Nase, ließ sie husten. Jede Faser ihres Körpers war angespannt, ihr Mund wurde trocken, als hätte sie Sand geschluckt. Ein wildes Flimmern vor ihren Augen kündigte eine nahende Panik an. Sie wusste, was sie gesehen hatte. Es war kein Pfeil, der aus dem Inneren des Monsters herausragte, sondern ein menschlicher Arm.
    Sie griff mit klammen Fingern den Stoff ihres Rockes, um ihn anzuheben, machte kehrt und rannte los. Ihre Beine bewegten sich wie von allein. Kalter Schweiß trieb aus jeder Pore, wurde sofort vom Gegenwind getrocknet. Ihr Denken setzte aus und reiner Überlebenstrieb übernahm die Kontrolle.
    Sue wusste nicht, wie lange sie gelaufen war und auch nicht, wie lange sie noch hätte laufen können. Das Haus kam in Sicht und schaute unter seinem finsteren Dachfirst zu ihr herab. Im nächsten Moment sah sie auf düsteres Gemäuer, so weit das Auge reichte. Aufmerksam geworden von dem ungewohnten Anblick setzte ihr Bewusstsein so plötzlich wieder ein, als hätte man sie mit eiskaltem Wasser übergossen. Sie strauchelte und stürzte auf den Kieselsteinweg, schlug sich Handflächen und Knie auf. Mit aller Kraft raffte sie sich hoch, taumelte mühevoll auf die hohe Holztür zu. Ihr Körper zitterte unter den trockenen Schluchzern. Mit beiden Fäusten hämmerte sie gegen die Tür, bis das Echo schmerzhaft in ihrem Kopf widerhallte. Ein Schrei entrang sich den Tiefen ihrer Kehle. Sie konnte ihn nicht mehr unterdrücken, ebenso wenig vermochte sie sich weiter auf den Beinen zu halten. Langsam sank sie in die Knie. Ihr Klopfen wurde immer schwächer, weil sie sich ihre Fingerknöchel aufgeschlagen hatte. Oh Gott. Niemand würde sie hören. Mit der Wange an raues Holz gepresst versuchte sie, sich kleinzumachen, denn das Grauen saß ihr im Nacken. Sie wagte keinen Blick hinter sich, weil sie fürchtete, das Monstrum könnte jeden Moment aus der Dunkelheit auftauchen.
    „Bitte. Hört mich denn niemand?“ Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen.
    Endlich vernahm Sue die scharrenden Geräusche eines Riegels, der auf der anderen Seite der Tür zur Seite geschoben wurde. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und ein runzeliges, braunes Gesicht erschien. Es war der Zigeuner vom Marktplatz, den alle für den Knecht des Lords hielten. Ein Windzug blies ihm eine lange Haarsträhne aus dem Gesicht, die der Mann mit einer ruckartigen Kopfbewegung an ihren Platz zurückbeförderte. Doch Sue hatte bereits den grotesk verzogenen Mundwinkel gesehen. Sein schauerliches Grinsen reichte fast bis zu seinem Ohr, eine entstellte Hautfalte lag wie ein Lappen über seinem Auge. Mit einem erschreckten Ausruf war sie ein Stück zurückgewichen, doch der Mann schien an solche Reaktionen gewöhnt zu sein. Sein gesundes Auge blickte ihr leer entgegen, während er mit der freien Hand versuchte, seine entstellte Gesichtshälfte noch mehr zu bedecken. Er winkte mit der Fackel, um Sue zum Eintreten aufzufordern. Im Feuerschein spiegelte sich ein dicker, goldener Ohrring. Sein Ohrläppchen baumelte erschöpft unter der schweren Last, als er in leicht gebeugter Haltung den Kopf durch die Tür streckte und die Umgebung absuchte. Auf seinem Rücken wölbte sich ein unförmiger Buckel. Sue erschauderte. Kein Wunder, dass die Leute im Dorf Abstand hielten, wenn die beiden Zigeuner zum Markt kamen. Doch bei allem, was sie bisher durchgemacht hatte, hielt sich ihr Entsetzen über das Aussehen des Mannes in Grenzen.
    Sie zögerte einen Moment, als er ihr mit einer ruppigen Bewegung seine Feldflasche hinhielt. Mit der Zunge fuhr sie sich über die aufgesprungenen Lippen und griff entschlossen zu. Sie war viel zu durstig, um sich irgendwelche Gedanken zu machen. Erleichtert ließ sie das kühle Wasser durch ihre Kehle rinnen. Die grunzenden Laute des Zigeuners verstand sie als Aufforderung, ihren Durst ruhig zu stillen, auch wenn sie die Flasche dazu leeren musste. Anscheinend war er stumm oder sprach kein Englisch. Nachdem er die Flasche wieder an seinem Gürtel befestigt hatte, gebot er ihr mit einer Geste ihm zu folgen.
    „Wartet! Wohin gehen wir?“
    Keine Antwort.
    „Dort draußen ist etwas ... Furchtbares und im Dorf ist ein Unrecht geschehen. Meine Tante wurde getötet. Bitte, ich brauche Hilfe.“
    Der Alte presste die Lippen zusammen und schüttelte den

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