Electrica Lord des Lichts
Geräusche drangen heraus. Beschämt über ihre Neugier blickte sie sich um, doch es war niemand zu sehen. Neben dem Türrahmen blieb sie stehen und lugte vorsichtig in den Raum, nur damit ihr bei dem, was sie erblickte, der Atem stockte.
Lord Maclean hatte ihr den Rücken zugewandt und beugte sich in inniger Umarmung über eine Frau. Ihr Kopf war zur Seite geneigt, sodass Sue ihr Gesicht nicht sehen konnte. Die bronzefarbene Haut ihres Armes hob sich scharf vom weißen Hemd am Rücken des Lords ab. Tiefschwarzes Haar hing bis auf den Boden, so weit war ihr Körper nach hinten geneigt. Für einen Moment glaubte Sue, es handele sich um Babu, doch die Hand gehörte zu einer jüngeren Frau. Ihre zierlichen Finger krallten sich Halt suchend an den Ärmel, während der Lord unaufhörlich ihren Hals liebkoste, was Sue an den sachten Bewegungen seines Hinterkopfes ausmachte. Ein Bein streckte sich unter bunten Röcken hervor, an schmalen Fesseln klirrten zahlreiche Goldkettchen. Die Frau stöhnte leise.
Aus einem Impuls heraus blieb Sue stehen und starrte durch den Türspalt. Mit trockenem Mund und dem beklemmenden Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können, sah sie sich außerstande, sich abzuwenden, wie es der Anstand geboten hätte. Ein seltsam erregendes Gefühl überkam sie, gesellte sich zum instinktiven Impuls, auf der Stelle zu gehen. Die Frau stieß einen lang gezogenen Seufzer aus, der etwas unbeschreiblich Endgültiges hatte. Ihre Hand, mit der sie sich zuvor am Stoff des Hemdes festgehalten hatte, erschlaffte und sank herab.
Sue presste die Hände gegen ihren Hals, als könnte sie das jähe Flattern ihres Pulses eindämmen. Der Kopf des Lords fuhr herum, als es Sue endlich gelang, sich abzuwenden. Nur für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie seine geröteten Augen gesehen. Verstört lief sie den Gang entlang. Irgendwann bemerkte sie, dass sie die falsche Richtung eingeschlagen hatte. Außer Atem blieb sie stehen und versuchte dem peinlichen Gefühl beizukommen, Zeugin einer derart intimen Situation geworden zu sein. Der Lord hatte sie bestimmt nicht gesehen, versuchte sie sich einzureden. Auf keinen Fall hatte sie vor, denselben Weg zurück und erneut dort vorbeizugehen, sondern beschloss, einen Umweg durch die unbewohnten Gänge des Schlosses in Kauf zu nehmen. Sie hastete über staubige Böden, wischte sich immer wieder herabhängende Spinnweben aus dem Gesicht. Ihr Fuß traf gegen etwas Weiches, das sich quietschend davonmachte. Sue sprang zur Seite, unterdrückte einen Schrei und zwang sich, nicht auf den Boden zu schauen. Grauen erfasste sie, ließ ihre Kopfhaut kribbeln. Herrgott, hatte dieser Irrgarten überhaupt kein Ende?
Endlich sah sie den Lichtkegel eines weiteren Ganges und beschleunigte ihre Schritte. Von dort aus würde sie sicher inden wohnlicheren Teil gelangen. Doch bevor sie erleichtert sein konnte, schälte sich ein Schatten aus der Dunkelheit. Jemand kam auf sie zu und würde jeden Augenblick um die Ecke biegen. Sie blickte sich hastig um, doch es ergab keinen Sinn, zurück in die gruselige Dunkelheit zu flüchten. Sie fasste sich und ging gemäßigten Schrittes weiter. Viele Möglichkeiten gab es schließlich nicht, wem sie gleich begegnen würde. Dennoch hegte sie die leise Hoffnung, es möge sich um Waloja handeln. Von ihm konnte sie sich in ihr Zimmer zurückbringen lassen.
Statt des Dieners kam ihr Lord Maclean lächelnd entgegen. „Lady Beaton. Ich habe nach Euch gesucht.“
„Tatsächlich?“
Sue versuchte mit aller Kraft, sich nichts anmerken zu lassen. Der Lord gab sich unbedarft. Nichts deutete darauf hin, dass er sie vorhin bemerkt hatte. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag. Mit einem Nicken erwiderte sie den Gruß des Lords.
„Seid so freundlich und begleitet mich in den Salon. Es ist etwas zugig hier im Gang.“
Er hob seinen angewinkelten Arm an und Sue hängte sich bei ihm ein. Ihr war immer noch unbehaglich zumute. Nur schwer konnte sie das Bild seines kräftigen Armes, mit dem er das Mädchen gehalten hatte, aus ihren Gedanken vertreiben. Jetzt trug er ein Jackett, doch unter dem Stoff fühlte sie angespannte Muskeln.
„Ihr seid so schweigsam“, stellte er fest und öffnete die Tür..
Sue trat in einen unbekannten Raum. Sie hatte während ihrer unfreiwilligen Wanderung die Orientierung verloren und denselben Salon erwartet, in dem auch der Typomat stand. Offensichtlich gab es mehr bewohnte Räume im Schloss, als sie angenommen hatte. Dieser war um
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