Electrica Lord des Lichts
einiges kleiner, sodass die Einrichtung beinahe überladen wirkte, wenngleich gemütlich. Wie eine kleinere Ausführung des großen Salons, in dem sie zuletzt mit dem Lord zusammengesessen hatte.
„Verzeiht. Ich bin ein wenig müde.“ Sie versuchte ein Lächeln und sah ihn an. Sofort legte sich ihre Anspannung beim Anblick seiner warmen Augen.
„Dann solltet Ihr Euch setzen und ein Glas mit mir trinken.“ Er geleitete sie zu einer ausladenden Sitzcouch.
Sue ließ sich erleichtert in das weiche Polster fallen, während sie den Lord beobachtete, wie er zwei Reservoirgläser aus dem Schrank nahm und eine grüne Flüssigkeit aus einer Karaffe hineingoss. Ein seltsames Déjà-vu überkam Sue, obwohl sich die Situation deutlich von ihrem letzten Treffen unterschied. Es kam ihr vor, als gingen sie vertrauter miteinander um. Sie fühlte sich angenehm entspannt. Sogar ihre Gedanken schienen wie gemächlich treibende Wolken durch ihren Kopf zu ziehen. Dabei hatte sie ihn seit Tagen nicht gesehen. Seltsam.
Er platzierte über jedem Glas einen silbernen, spatelförmigen Löffel, auf dem ein Zuckerwürfel thronte. Den Zucker beträufelte er mit heißem Wasser aus einer Zinnkanne, die in einem glänzenden Gestell über einem brennenden Kerzenstumpen hing. Erst als Sue das dargereichte Getränk entgegennahm, sah sie, dass der Zucker sich nach und nach auflöste und als Zuckerwasser eine milchige Spur hinterließ. Wie für ihre Hand gemacht, schmiegte sich das filigrane Glas hinein. Der Inhalt gab ihm eine exquisite Erscheinung. Dass es sich um Alkohol handelte, war ihr klar, doch war es ganz sicher kein Wein.
„Absinth“, sagte der Lord.
Verdutzt blickte Sue auf.
„Ihr habt fragend ausgesehen.“
Intensiver Anisgeruch drang ihr in die Nase. Einen Moment erinnerte sie das Aroma an Tante Meggies Kräuterlikör, dem die Dorfbewohner heilende Kräfte zusprachen. Dieser Alkohol hingegen legte sich süß auf ihre Zunge, rann brennend die Kehle hinab und breitete sich warm in ihrem Magen aus. Sie war froh, dass sie saß, denn als Nächstes schickte der Absinth seine berauschende Wirkung in ihren Kopf. Sie unterdrückte den Reflex zu husten, blinzelte und riss die Augen weit auf, weil ein nicht unangenehmer Schwindel ihre Umgebung verzerrte. Die nächsten Schlucke brannten nicht mehr, sondern waren köstlich. Das Zimmer verwandelte sich in ein buntes Lichtspektakel. Sie hätte stundenlang zusehen können, wie die Möbel ihre Formen verloren und eins wurden mit dem bedruckten Wandbehang. Ein Kichern entfuhr ihrer Kehle und Sue vergaß, sich dafür zu genieren.
Plötzlich beugte sich Lord Maclean zu ihr herab. Er nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es auf den Tisch. Dabei hielt sein Blick sie gefangen. Seine Hand hob sich vor ihr Gesicht, ohne sie zu berühren, als modellierte er ihre Wangenknochen in der Luft. Sie wollte zurückweichen, doch war es zu verlockend, sich diesem Frieden hinzugeben. Nein, sie wollte nicht zulassen, dass die düsteren Gedanken zurückkehrten. Nicht hierher in diese wundersame andere Welt. Langsam näherte sich sein Gesicht, bis sein Atem sanft über sie hinwegstrich. Seine Lippen glänzten feucht, verlockend wie eine süße Frucht. Ihre Hände kribbelten. Unwillkürlich legten sie sich auf seine Brust. Ein eher halbherziger Versuch der Abwehr. Ihr Herz raste, ihr Blickfeld verengte sich mit der Gewissheit, dass sie unbedingt wissen wollte, wie sich sein Mund anfühlte. Unwiderstehlich angezogen versuchte sie, sich abzuwenden. Ohne Erfolg. Unter ihren Fingerspitzen fühlte sie den weichen Stoff seines Jacketts.
„Du kannst vor einer Versuchung nicht davonlaufen oder deine Augen verschließen. Sie wird dich immer wieder einholen, denn es gibt nur einen Weg, ihr zu entgehen, indem du ihr nachgibst“, flüsterte er mit rauer Stimme.
Er küsste sie, weit, bevor sie sich sammeln und etwas erwidern konnte. Ihr stockte der Atem. Seine Lippen waren weich, fest und kühl wie ein Eissorbet mit Honiggeschmack. Was sie in ihr auslösten, war unbeschreiblich. Seine Finger legten sich über ihre Brüste. Ein Hauch von einer Berührung. Sie keuchte auf, wollte sich von ihm lösen, doch sie konnte sich nicht rühren. Mein Gott. Was tat sie da? Sie war im Begriff, sich einem wildfremden Mann hinzugeben. Einem überaus attraktiven, wohlgemerkt. Doch wen interessierte das? Es musste niemand davon erfahren. Ihr Unterleib pulsierte. Das Gefühl war berauschend. Lähmend. Seine Zunge füllte ihren Mund. Sie
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