Electrica Lord des Lichts
Seite immer die Frau. Die nächste Bilderflut zeigte weiße Schenkel, knospende Brüste, rosigen Lippen und Blut. Unwillkürlich leckte sich Luthias über die Haut, wo einst seine Lippen gewesen waren. Das Tier war also noch da. Es erzeugte Wohlgefallen in Luthias, zu sehen, wie Cayden den jungen Burschen riss. Er hatte also nicht vergessen, was er ihm beigebracht hatte. Die Sterblichen waren nichts weiter als eine unendliche Herde, mit der Bestimmung, die nächste Stufe der Evolution zu nähren. Die Vampire.
Luthias spürte Caydens Zwiespalt wie eine Ameisenkolonne unter seiner Haut. Wie überaus bedauerlich. Luthias zuckte mit den Schultern. Das hatte der Junge davon, wenn er sich in eine Sterbliche verliebte. Nun, viel Auswahl hatte er nicht, nachdem er zugelassen hatte, dass die Einzigartige unter den weiblichen Geschöpfen von niederen Lebensformen vernichtet worden war. Alice. Seine Alice. Sobald er in Besitz ihrer Asche war, wollte er sie zurückholen. Mit seiner Hilfe würde ihr gelingen, was er in den vergangenen Jahrhunderten an seinem Körper vollbracht hatte. Die Auferstehung von den Toten. Ihre Asche in einem ständig frischen Bad aus Menschenblut wie Saatgut in fruchtbarer Erde. Er würde die Setzlinge pflegen, bis ihr überirdischer Körper sich regeneriert hatte und ihr Herz wieder schlagen würde. Nur für ihn. Natürlich würde der Vorgang Zeit brauchen, doch davon hatte er mehr als genug. Mit Alice an seiner Seite würde er in ein neues Zeitalter treten, dessen Bilder er in seinen Träumen gesehen hatte. Eine utopische Zukunft mit Gebäuden, deren Dächer die Wolken berührten, in der eiserne Vögel am Himmel kreisten und Kutschen ohne Pferde schnell wie der Blitz über den Boden rasten.
Doch vorher galt es, den brennenden Dorn der Rache aus seiner Brust zu ziehen. Cayden, der Verursacher all seiner Qual sollte das Leiden der christlichen Hölle auf Erden erfahren. Ihm würde er nehmen, was er liebte, bevor er ihn endgültig vernichtete. Er allein trug Schuld, dass seine Alice vom Weg abgekommen war, sich blenden ließ von der Schönheit des Jünglings, um der Meute in die Arme zu laufen. Keinen Finger hatte dieser undankbare Kerl gerührt, als die Lynchmeute ihn in einem Moment der Schwäche aufgegriffen hatte. Ein Schrei bahnte sich seinen Weg durch seine Kehle bei der Erinnerung an alles verzehrende Flammen, die seine Haut ablösten, bis ihm das Fleisch von den Knochen fiel. Unsterblichkeit hatte ihren Preis. Der Schmerz war unendlich.
Ein gleißender Blitz beendete die Vision ruckartig. Luthias sackte keuchend zusammen. Doch er hatte genug gesehen. Wie erwartet war Cayden nach Lochdon zum Sitz seiner Familie zurückgekehrt, nachdem er sich vermutlich rastlos durch die Welt hatte treiben lassen. Vorausschauend hatte sich Luthias diesen Söldner Black zu eigen gemacht. Dazu waren nur die einfachsten Mittel der Suggestion nötig. Ein Posten als Sheriff und die Aussicht auf Macht wandelten Black zum optimalen Werkzeug.
Mit einem Schlag gegen die Rückenwand bedeutete er dem Kutscher zu halten. Ein kurzer Blick aus dem Fenster zeigte, dass die Zeichen übereinstimmten. Auf der anderen Seite der Themse ragte der Tower of London in die mondhelle Nacht. Dort sah er sein Zentrum der Macht und nicht im Buckingham Palast bei den Marionetten. Der Hofstaat würde ohnehin im Gefüge seiner Herrschaft untergehen, wenn Luthias beizeiten aus den Katakomben emporstieg.
London war der Nabel des britischen Weltreichs mit seiner rasanten industriellen Entwicklung. Explodierende Bevölkerungszahlen legten bereits jetzt den Grundstein für seine Herrschaft als Blutbaron. Es war seine Stadt, sein Reich, über das er mit seiner Königin der Nacht herrschen würde.
Hier pulsierte am West End ein unaufhaltsam, expandierendes Finanzzentrum gleichermaßen wie die Elendsviertel am Eastend, aus denen er vorerst seine Investitionen für die Zukunft schöpfte. Eine Schar von Seelenlosen war ihm bereits zu Diensten. Hoffnungslose Sterbliche aus den Armenvierteln der Stadt, denen es versagt war, in dieser Welt einen Sinnzu erfüllen. Ihre Gehirne waren ebenso schnell zerstört, wie eine Assel am Boden zertreten. Ohne eigenen Willen waren sie besser dran und füllten die Reihen in seiner finsterer Armee.
Ein Klopfen an der Kutschtür riss ihn aus den Gedanken. Er schob den Vorhang beiseite und blickte in das grell bemalte Gesicht einer Prostituierten.
„Heute schon was vor, Süßer?“, drang die alkoholgeschwängerte
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