Electrica Lord des Lichts
Körper mit beiden Armen hoch, neigte den Kopf nach hinten, damit der Blutstrom in seinen offenen Mund fließen konnte. Dabei vergoss er nicht einen Tropfen.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Kapitel 11
E
r hatte es schon wieder getan.
Erneut war Cayden ihren Fragen ausgewichen, hatte sie abgelenkt. Zugegeben, ihr war es gelungen, ihn davon abzubringen, sie in diesen seltsamen Dämmerzustand zu versetzen. Dieses Mal war sie im Vollbesitz ihres Verstandes gewesen. Allerdings hatte das auch nicht viel genutzt. Sobald er sie in die Arme nahm, schmolz sie dahin wie ein Stück Butter. Irgendwelche Zaubertricks waren wohl kaum nötig, um sie gefügig zu machen. Schon der Gedanke an seine Berührungen ließ ihr Blut in Wallung geraten. Innerlich verfluchte sie ihren verräterischen Körper, der entgegen jeglicher Vernunft reagierte. Das musste aufhören. Außerdem war noch nicht geklärt, wieso er das überhaupt tat. Wollte er sie beruhigen, wenn die Trauer um Tante Meggie sie überkam? Vielleicht verfügte er über die Fähigkeiten einer besonderen Medizin, die es vermochte, ein aufgebrachtes Gemüt zu besänftigen.
Fahrig strich Sue über ihren Bauch. Sie konnte kaum atmen in dem Korsett. Da war es weniger hilfreich, sich aufzuregen. Die Ankleidemagd hatte ganze Arbeit geleistet. Mit Daumen und Zeigefinger konnte sie beinahe ihre Taille umfassen. Gleichzeitig fühlte sich die gestreckte Körperhaltung stolz an, ließ sie automatisch den Kopf hocherhoben tragen, sodass sie die meisten Anwesenden überragte. Auch die Männer.
Nachdem sie den Rest der Nacht und den Großteil des Tages im Highland Hotel verbracht hatten, brachen sie mit Einbruch der Dämmerung auf. Cayden wollte sie zu einem Privatempfang mitnehmen, um ihr zu zeigen, wie der schottische Hochadel sich unkonventionell unterhielt. Die vage Aussage erweckte zwar mehr Zweifel als Interesse, doch letztlich fühlte sie sich als Caydens Begleitung gewissermaßen verpflichtet, seiner Einladung zu folgen. Sein Automobil war an einem sicheren Ort im Wald versteckt, sodass sie für die kurzen Strecken innerhalb von Fort William weiterhin eine Kutsche mieteten.
Fasziniert blickte Sue an der Fassade des Stadthauses hinauf, deren glänzende Steinblöcke einen imposanten Hintergrund für zahlreiche gemeißelte Skulpturen boten. Zwei steinerne Löwen thronten auf den Säulen neben dem breiten Treppenaufgang. Wie von allein öffnete sich die Eingangspforte. Erst kurz darauf lugte ein livrierter Diener hinter dem Türspalt hervor, der sie einließ und schleunigst wieder die Tür schloss, damit keine kalte Luft eindringen konnte. Die Wärme im Salon umfing Sue wie eine Wolke. Rauchschwaden sammelten sich unter den hohen, stuckverzierten Zimmerdecken. Ein süßlicher Geruch lag betörend in der Luft wie eine Mischung aus übergepuderten Ausdünstungen ungewaschener Körper. Sue atmete flach und widerstand dem Drang, sich die Nase zuzuhalten.
Der Saal war gefüllt mit Menschen. In Gruppen standen sie beieinander, lachten und unterhielten sich angeregt. Einige Paare tanzten zu einer Musik, deren Ursprung sie nicht ausmachen konnte. Nirgendwo sah sie ein Orchester. Der weitläufige Raum war überladen mit verzierten Möbelstücken. Aus Glasvitrinen starrten ihr die leeren Augen von Porzellanpuppen entgegen, deren Kleider so hochwertig verarbeitet waren, dass sie denen der Damen in Nichts zurückstanden. Noch nie hatte Sue so lebensecht wirkende Puppengesichter gesehen. Irgendwie unheimlich. Bei Nacht wollte sie nicht allein in diesem Raum sein.
Caydens Hand legte sich in ihren Rücken. Sue mühte sich ein höfliches Lächeln ab, das unter fragenden Blicken hier und da erwidert wurde. Je weiter sie in den Raum vordrangen, desto mehr schienen die Konventionen zu fallen. Überall rekelten sich Gäste auf ausladenden Sitzgruppen, teilweise eng umschlungen, als hätten sie die Welt um sich herum vergessen. Andere lagen apathisch auf Diwanen, hielten zierliche Pfeifen in den Händen und bliesen behäbig den Rauch in die Luft.
Fragend blickte sie Cayden an.
„Opium. Eine Modeerscheinung aus China, mit der ein wirksames Schmerzmittel wie Laudanum zu gesellschaftlicher Unterhaltung zweckentfremdet wird“, erklärte Cayden.
Sue verkniff sich die Frage, wozu das gut sein sollte, denn die Antwort stand in den entrückten Gesichtern der Konsumenten. Anscheinend hatte Opium eine ähnlich berauschende Wirkung wie Alkohol. Sie wandte abrupt
Weitere Kostenlose Bücher