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Electrica Lord des Lichts

Electrica Lord des Lichts

Titel: Electrica Lord des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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zur Besinnung“, zischte er ihr zu.
    Als hätte jemand ihr Lachen davongewischt, verhärteten sich ihre Gesichtszüge und ließen sie um Jahre altern. Nur ihre Augen verrieten tiefen Schmerz, als sie Cayden anblickte. Für einen Moment glaubte Sue, Lilian würde ihm schluchzend in die Arme fallen. Mit angehaltenem Atem trat Sue einen Schritt zurück, um sich anstandshalber der vermeintlich persönlichen Unterredung zu entziehen. Doch sie hätte wohl den Raum verlassen müssen, denn Lilian gedachte, fernab jeglicher Skrupel, ihr privates Leid mit jedem Anwesenden zu teilen.
    „Ihr habt recht, Sir. Es reicht in der Tat. Ich bin es seit Langem leid, auf Euch zu warten“, erwiderte sie mit erhobener Stimme.
    Caydens Rücken versteifte sich unter der öffentlichen Bloßstellung. „Ich habe Euch nie gebeten, auf mich zu warten, Madam.“
    Mit gespitzten Lippen trat Lilian einen Schritt zurück wie jemand, der zwischen seinem Bogen und dem Ziel einen angemessenen Abstand bringen wollte, damit er einen sicheren Treffer landete. Die Gespräche verstummten erneut und Sue beschloss, einen weiteren Schritt zurückzutreten, weil Lilian den Eindruck erweckte, jeden Moment auf Cayden loszustürzen. Doch sie war eine Dame und ihre Waffe die von enttäuschten Gefühlen genährten Worte.
    „Aus Eurer Sicht vermutlich maßgebend, doch in Wahrheit nur einer von zahlreichen Aspekten, welche eine Frau wie mich für einen Mann wie Euch unerreichbar macht.“ Die Kälte ihrer Stimme schnitt durch die Rauchschwaden im Raum.
    Caydens Blick hingegen war so abfällig, als würde er eine Ratte betrachten. Im nächsten Moment drehte er sich abrupt um und verließ mit langen Schritten den Raum, sodass die Umstehenden eilig zur Seite stolperten. Lilian starrte ihm hinterher. Ihre Mundwinkel zuckten wie unter einem unterdrückten Lachen. Erschrocken stellte Sue fest, dass sie mit offenem Mund dastand. Sie raffte die Röcke und wollte Cayden hinterhereilen, doch Lilian hielt sie am Arm zurück.
    „Vergiss nicht, Kindchen, Eure Jahre vergehen schneller als die seinen.“
    „Ich verstehe nicht, wovon Ihr redet, doch Ihr habt ihn soeben brüskiert.“ Sue riss sich los und wollte davongehen.
    „Das habe ich und dafür wird er mich töten“, erwiderte Lilian ungerührt.
    Sue blieb auf dem Absatz stehen. „Du meine Güte. Was redet Ihr da?“
    Lilian blickte sie schweigend an. Jede Anspannung war aus ihrem Gesicht gewichen. In ihren Augen lag ein nahezu seliges Leuchten. Die Frau musste den Verstand verloren haben. Zweifellos. Am liebsten hätte sie die fremde Gräfin angeschrien, um ihr zu verdeutlichen, welche Ungeheuerlichkeit sie von sich gegeben hatte. Andererseits lag ein derart unübersehbarer Ernst in ihrer Miene, dass Sue fast geneigt war, ihren Worten Glauben zu schenken. Sie spürte es hinter ihren Schläfen pochen, während sie einen Augenblick wortlos Lilian anstarrte. Verwirrt beschloss sie, dass es das Beste war, sich nicht weiter mit Angelegenheiten zu befassen, die sie weder nachvollziehen noch Einfluss darauf ausüben konnte. Mit einem letzten Blick über die Schulter machte sie sich auf den Weg zum Ausgang. Lilians Mund formte stumm ein Wort, dass Sue erst draußen als Tod interpretierte.
    Am nächsten Abend verließ sie mit Cayden das Hotel. Seit ihrem übereilten Aufbruch aus Lilians Haus hatte er kein Wort über den Vorfall verloren. Wenn sie den Versuch unternahm, ihn darauf anzusprechen, wechselte er das Thema. Anscheinend wollte er nicht über seine Liaison mit der Gräfin sprechen. Sue blieb nichts anderes übrig, als sich mit ihren Gedanken zu Bett zu begeben. Möglicherweise maß sie dem Vorfall zu viel an Bedeutung bei, immerhin schien die Sache für Cayden erledigt zu sein. Dennoch trug seine Weigerung, mehr über sich preiszugeben, nicht dazu bei, ihre Zweifel auszuräumen.
    Die Nacht war kalt in dieser Region Schottlands, in der der Ben Nevis selbst im Hochsommer Schnee auf seinem Gipfel trug. Sues Blick schweifte unwillkürlich Richtung Westen, obwohl man den Berg selbst bei Tage nicht von Fort William aus sehen konnte. Stattdessen ragten die schwarzen Schlote der Weberei in den Himmel, aus denen unaufhörlich Rauch stob. Eine diesige Nebelwand schob sich durch die feuchten Gassen. Die Gaslaternen am Straßenrand vermochten kaum die Köpfe der schemenhaften Gestalten vor ihnen zu erhellen. Fröstelnd zog sie den Umhang fester um die Schultern, während sie neben Cayden die leicht abfallende Gasse stadtauswärts

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