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Electrica Lord des Lichts

Electrica Lord des Lichts

Titel: Electrica Lord des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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dass es Baron Luthias war, den sie erblickte. Sie war darauf gefasst, keinem Menschen zu begegnen, doch hatte sie zumindest ein menschenähnliches Aussehen erwartet. Wenn man glaubte, es könnte nicht schlimmer kommen, trat meist das Gegenteil ein. Luthias stakste auf sie zu wie ein Stelzenläufer vom Jahrmarkt und überragte Cayden um zwei Haupteslängen. Abgesehen von seiner erlesenen Kleidung unterschied er sich nicht nennenswert von den bedauernswerten Kreaturen einer Freakshow. Den kahlen Schädel übersäten unförmige Hautknoten. Die Wangenhaut zeigte sich überdehnt und rissig, schien hinter die Ohren gezogen und dort befestigt worden zu sein, wodurch seine Nase lediglich als angedeutete Wölbung zu erkennen war.
    Unaufhaltsam näherte er sich auf seiner kupferglänzenden Metallkonstruktion. Eine Art Beinverlängerung, die den Boden bei jedem Schritt erbeben ließ. Nein. Das Gestänge ersetzte seine Beine unterhalb der Knie. Trotzdem bewegte sich der Baron überraschend wendig auf seinen Metallbeinen. Sue musste an die Holzbeine von Soldaten oder Seeleuten denken, die jedoch nicht über künstliche Gelenke verfügten.
    Grauen erfasste sie. Angst zerrte an ihren Kraftreserven wie ein Muskelkrampf. Dennoch konnte sie die Augen nicht von dieser Kreatur reißen. Luthias machte unmittelbar vor ihr und Cayden halt. Vier bewaffnete Männer schlossen neben ihm auf. Ihre starren Augen ins Nichts gerichtet, vermittelten sie gleichzeitig ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Ein Wort von Luthias und sie würden reagieren. Die Haut an ihren nackten Oberkörpern war so bleich, dass sie bläulich schimmerte. Über dem Herzen trugen sie einen münzgroßen Pfropfen, der auf schauderhafte Weise an einen Korken in einer Tonflasche erinnerte. Sue wagte einen weiteren Blick. Gott. Es handelte sich tatsächlich um Korken, umsäumt von feinen Kränzen geronnenen Blutes. Sie schluckte die aufkommende Übelkeit hinunter.
    „Ah, wie ich sehe, haben meine Häscher mit der rothaarigen Gräfin die falsche Braut erwischt“, schnarrte Luthias.
    Obwohl er über nichts verfügte, das man als Lippen bezeichnen könnte, gelang es ihm auf groteske Weise den Mund zu schließen, wenn er nicht sprach. Ansonsten öffnete sich ein nahezu rundes Loch, dessen Kiefer nicht nur auf- oder zuklappbar, sondern auch quer erweiterbar zu sein schienen wie bei einem Flussbarsch. Ein schier unfassbares Durcheinander an spitzen Zähnen trat zum Vorschein.
    Zitternd schob Sue sich hinter Caydens Rücken. Unwillkürlich versteiften sich seine Muskeln, sodass sie ihre Hand wegzog, als wäre sie abgeschüttelt worden.
    Luthias neigte den kahlen Schädel zur Seite und fixierte Sue aus tief liegenden, schwarzen Augen. Sie legte den Kopf Schutz suchend gegen Cayden, doch erneut zuckte er mit der Schulter, als wollte er sie von sich schieben wie eine lästige Fliege. Irgendwas geschah hier.
    Plötzlich verneigte sich Cayden vor dem Ungeheuer. „Eure Exzellenz haben wie immer die richtige Wahl getroffen und die Dame meines Herzens von meiner Seite gerissen.“
    Luthias stieß ein kurzes hartes Lachen aus. „Bemerkenswert. Ihr wart immer schon ein ausgezeichneter Schauspieler, Maclean. Oder sollte ich besser sagen, Blender?“
    „Das steht Euch frei, Baron“, erwiderte Cayden im Plauderton.
    Sue glaubte, ihr Herz würde stehen bleiben. Um Himmels willen, was redete er da? Luthias beugte sich nah vor Caydens Gesicht.
    „Und wer ist der goldgelockte Engel hinter Eurem Rücken, dessen Blut soeben angefangen hat, schneller durch die kleinen Venen zu fließen?“ Luthias schnupperte in die Luft.
    Wenn Sue geglaubt hatte, ihr Schrecken habe die Grenze des Erträglichen erreicht, hatte sie sich auf furchtbare Weise getäuscht. Ihre Knie knickten ein, als Cayden hinter sich griff, um sie hervorzuziehen. Nur sein eiserner Griff hielt sie ab, zu Boden zu stürzen. Eine grauenvolle Erkenntnis überfiel sie. Wie hatte sie so dumm sein können? Sie hatte es geahnt, als Cayden plötzlich aus der Galerie verschwunden war. Er wollte sie verlassen. Sie war ihm gleichgültig. Nur Walojas Warnruf hatte ihn davon abgehalten, in aller Heimlichkeit das Schloss zu verlassen. Gleichzeitig wehrte sich eine innere Stimme gegen diesen Verdacht. Herr im Himmel. Sie verlor allmählichen ihren Glauben.
    Benommen vor Entsetzen fand sie sich neben Cayden wieder, in unmittelbarer Nähe dessen, was sie für den Rest ihres Lebens als Grauen in Person beschreiben würde. Sofern es noch ein Leben für

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