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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Sie gerade Ihre Scheinwerfer gerichtet haben, präzisierte der Psychiater.
    – Weder auf das eine noch das andere, erklärte der Krankenpfleger. Ich dachte nur so über das nach, was wir hier machen. Ehrlich. Vielleicht kommt ja mal eine Zeit, in der dieser Mist hier sich ändert und man die Dinge mit klaren Augen betrachten kann. In der die Schneider nicht per Gesetzesverordnung dazu verdonnert werden, die Eier eines Mannes in der Weite der Hose zu verstecken.
    Und er begann mit Ingrimm, die bereits gewaschenen Spritzen abzutrocknen.
    Verdammter Kerl aus dem Algarve, dachte der Arzt, du wirkst wie ein neorealistischer Dichter, der glaubt, er könne die Welt mit seinen in der Schublade verborgenen Versen verändern. Oder aber du bist ein gewiefter Bauer, der sein Haff kennt und, die Laterne unter den Netzen versteckt, auf die Dämmerung wartet, um mit dem Lockfeuer zu fischen. Und er erinnerte
sich an die Praia da Rocha im August, damals, als er geheiratet hatte, an die vom Henry Moore der stetigen Ebben geformten Felsen, an die Weite aus Sand ohne Fußspuren und daran, wie er und seine Frau sich wie Robinson Crusoe gefühlt hatten trotz der kubischen deutschen Touristen, trotz der wie kastrierte Soprane androgynen Engländerinnen, der betagten, mit unglaublichen Hüten bedeckten Amerikanerinnen und der Rauchglasbrillen der nationalen Zuhälter, dieser Latin lovers, die mit dem Plastikkamm in der hinteren Hosentasche wie Hyänen Pos umkreisten.
    – Wer weiß, Mann, sagte er zum Krankenpfleger, vielleicht leben wir ja gerade dafür. Aber wenn wir hier nur rumsitzen und warten, können wir beide zum Teufel gehen.
    Er wandte sich zu dem Kabuff am Ende des Flurs mit dem Gefühl, dem anderen gegenüber ungerecht gewesen zu sein, und mit dem Wunsch, er möge begriffen haben, daß er nichts weiter als die eigene passive Seite angegriffen hatte, den Teil in sich, der die Dinge kampflos hinnahm und gegen den er sich auflehnte. Ich mag mich oder ich mag mich nicht, dachte er, inwieweit akzeptiere ich mich, und an welchem Punkt beginnt tatsächlich die Zensur meines Protests? Die Polizisten, die nun draußen standen, hatten die Mützen abgenommen und kamen dem Psychiater unvermittelt nackt und harmlos vor. Einer von ihnen hatte die Zwangsjacke des Notariatsbürovorstehers im Arm und hielt sie gegen die Brust gedrückt wie die Jacke eines Neffen am Eingang der Turnhalle.
    Im Sprechzimmer bereitete sich die Heilige Familie auf den Angriff vor. Vater und Mutter standen rechts und links vom Stuhl des Sohnes, feindselig wie Steinhunde auf Torpfosten, die bereit waren, in lautes, erbostes Wutgeschimpfe auszubrechen.
Der Arzt ging schweigend um den Schreibtisch, zog wie ein Schachspieler, der die Figuren für den Beginn des Spiels vorbereitet, den Glasaschenbecher, den gestempelten Block des Krankenhauses, den Kassenausweis und das Buch, in das die Kranken eingetragen wurden, zu sich heran. Das Jesuskind, das rotblond war und wie ein ängstlicher Vogel wirkte, tat tapfer so, als bemerkte es seine Anwesenheit nicht, und starrte durch die geöffneten Fenster auf die traurigen Gebäude der Rua Gomes Freire, kniff die Augen mit den von durchsichtigen Sommersprossen übersäten Lidern zusammen.
    – Na, was gibt es denn? fragte jovial der Arzt und empfand seine Frage als Anpfiff eines blutigen Spiels durch den Schiedsrichter. Wenn ich den Kerl hier nicht beschütze, dachte er sehr schnell, während er den Jungen, der seine Panik noch unter Kontrolle hatte, aus den Augenwinkeln ansah, dann zerfetzen die ihn mit zwei Bissen. Verdammt noch mal, jetzt könnte ich Umberto Ecos Hilfe gut gebrauchen.
    Der Vater blähte die Hemdbrust.
    – Herr Doktor, sagte er pompös, als handelte es sich um eine Kriegserklärung, Sie sollten wissen, daß dieser Mistkerl hier Drogen nimmt.
    Und er rieb die dienstbeflissenen Hände aneinander, als stünde er vor seinem Abteilungsleiter. An seinem kleinen Finger mit langem Nagel trug er neben dem Ehering einen riesigen Ring mit einem schwarzen Stein, und an der goldgemusterten Krawatte saß eine Korallennadel, die einen Fußballspieler von den Belenenses darstellte, wie er einem kleinen goldenen Ball einen Fußtritt versetzte. Er ähnelte einem Auto mit vielen Accessoires, Decken auf den Sitzen, Klunkerkram am Spiegel, Streifen auf der Kühlerhaube, den Namen Tó Zé auf die Tür
gemalt. Laut Ausweis war er Angestellter des Wasserwerks (zumindest ein sauberer Angestellter, beschloß der Psychiater), und sein

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