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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Atem roch nach der Brotsuppe mit Fisch vom Vortag.
    – Eigentlich müßten die Karteikästen dringend mal eine andere Farbe bekommen, stellte träumerisch der Arzt fest, indem er auf drei Metallwürfel wies, die scheußlich massiv den Raum zwischen Tür und Fenster einnahmen.
    – Bei so einem Grün könnte einem Admiral übel werden, findest du nicht? fragte er den Jungen, der von den Wundern der Rua Gomes Freire hingerissen war, dessen Lippen aber wie der Bauch eines erschrockenen Spatzen zitterten. Krieg dich ein, riet ihm im Geiste der Arzt, krieg dich ein, denn du bist ein schwacher Jungstier, und der Kampf hat noch nicht angefangen. Und er tauschte wie bei einer strategischen Rochade den Aschenbecher gegen das Buch aus und murmelte dabei: Halten Sie die Unterhosen fest, Dona Alzira, die Natotruppe ist im Anmarsch.
    Da hörte er ein unvermitteltes Rascheln auf der Schreibunterlage des Schreibtisches: Die Mutter schüttete den Inhalt eines Papierbeutels voller unterschiedlicher Medikamentenverpackungen unter seiner überraschten Nase aus und wölbte ihm ihren von wütender Empörung angespannten, mit einer Leopardenjacke aus Plastik bekleideten Körper entgegen. Die Sätze kamen aus ihrem Mund wie Bohnenkugeln aus der Blechkanone, die der Psychiater als Kind, anläßlich einer seiner unzähligen Anginen, geschenkt bekommen hatte:
    – Mein Sohn muß au-gen-blick-lich eingeliefert werden, befahl sie im Tonfall eines reformatorischen Präfekten, der sich kosmisch an die moralische Verkommenheit des Universums wendet. Pillen, wie man hier sieht, er macht die vierte
Klasse zum zweitenmal, läßt es an Respekt den Eltern gegenüber fehlen, gibt freche Antworten, wenn er überhaupt antwortet, die Nachbarin aus dem Stockwerk unter unserem hat mir erzählt, sie habe ihn mit einem Flittchen am Rato gesehen, ich weiß nicht, ob ich mich klar ausdrücke, ich denke, Sie haben mich verstanden. Und das mit siebzehn Jahren, Herr Doktor, erst im April ist er es geworden, er ist mit einem Kaiserschnitt zur Welt gekommen, um ein Haar hätte ich den Abgang gemacht, ich habe sogar am Tropf gehangen, bitte sehr. Und wir erziehen ihn, so gut wir können, geben Geld aus, kaufen Bücher, reden freundlich mit ihm, und als Lohn dafür kümmert er sich einen Dreck um uns. Nun sagen Sie schon: Finden Sie das richtig? Und Sie, Herr Doktor, der Sie womöglich auch Kinder haben, Sie stellen ihm Fragen zu Karteikästen.
    Sie machte eine Pause, um die Bojentitten aufzupumpen, zwischen denen ein Emailleherz mit dem Foto des subalternen Ehemannes in jüngeren Jahren, bereits wild mit Amuletten geschmückt, logierte, und tauchte dann erneut in die kochenden Wasser des Zorns.
    – Eine Woche Krankenhaus, genau das braucht er, um wieder auf die Reihe zu kommen: Ich hatte eine Schwägerin auf der 3. Station, ich kenne die Methoden. Ein paar Wochen ohne Ausgang, ohne seine Clique zu sehen, ohne Apotheken zum Tablettenklauen in Reichweite. Es ist eine Schande, daß niemand dem ein Ende bereitet: Seit Salazar gestorben ist, geht’s von einem Debakel zum anderen.
    Der Arzt erinnerte sich daran, wie sie vor vielen Jahren, als sie vom Abendessen bei einer Tante nach Hause gekommen waren, im Arbeitszimmer des Vaters einen Agenten der Pide vorgefunden hatten, der auf den Bruder wartete, der Präsident
des Vereins der Jurastudenten war, und an den angsterfüllten Abscheu, den dieser Mann, der die Buchrücken der Neurologielehrbücher des abwesenden Vaters mit Besitzermiene betrachtete, in ihnen ausgelöst hatte. Nur der Jüngste hatte den Spitzel ohne Haß angeschaut, war entgeistert über die arrogante Entweihung dieses Heiligtums der Pfeifen, das man immer mit dem Bewußtsein der beinahe heiligen Bedeutung dieses Ortes betrat, und umkreiste den Apostaten, indem er seine Gesten beschnupperte, voller Bewunderung. Plötzlich hatte der Arzt Lust, den blondgefärbten Kopf Unserer Lieben Frau zu packen und ihn ohne Eile, wohlüberlegt gegen die Ecke des Waschbeckens links von ihm unter dem schiefen Spiegel zu schlagen, der, vom Schreibtisch aus gesehen, ein graues, blindes Stück Wand reflektierte, als wäre die achteckige Fläche, die ihn so viele Male wieder zu sich gebracht hatte, von einer Art grauem Star befallen: Es verwirrte ihn, in der mit einer Zinnfolie hinterlegten Glasscheibe nicht die fragende Kurve seines Edamer-Katze-Lächelns vorzufinden.
    – Ein Krankenhaus oder ein Gefängnis, sagte der Ehemann der Harpye mit pompöser Stimme, während er die

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