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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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monströse Krawattennadel streichelte, denn wir werden damit nicht mehr fertig.
    Die Frau wedelte wie eine Kastanienverkäuferin seine nutzlosen Worte mit der Hand weg: Sie war die Leiterin der Operation und ließ eine Teilung der Befehlsgewalt nicht durchgehen. Enkelin eines Gefreiten der Guarda Republicana, dachte der Psychiater, moralische Erbin des alten Drisch-aufs-Volkein-Schwertes ihres Vorfahren.
    – Tut mir leid, Herr Doktor, aber Sie müssen das hier sofort regeln, sagte sie, wobei sie das künstliche Fell ihrer Jacke
sträubte. Tun Sie mir den Gefallen und behalten Sie ihn hier, ich will ihn nicht bei mir zu Hause haben.
    Der Junge begann eine Bewegung, die sie eilig abwürgte, indem sie mit wütendem Finger auf ihn zeigte:
    – Unterbrich mich nicht, du Blödkopf, ich rede gerade mit dem Doktor.
    Und zum Psychiater endgültig:
    – Machen Sie das, wie Sie wollen, aber wir nehmen ihn nicht wieder mit.
    Der Arzt rückte auf dem Schreibtischschachbrett mit einem Hefter-Bauern vor. Auf rostige Nägel gespießte Dienstpläne, einige mit seinem Namen (wenn unser Name gedruckt ist, gehört er uns nicht mehr, dachte er, wird er unpersönlich und fremd, verliert er die vertraute Intimität des Handgeschriebenen), zierten die Wände.
    – Nun machen Sie mal halblang und warten Sie draußen, damit ich mit dem Jungen reden kann, sagte er, ohne jemanden anzusehen, im blassen Tonfall eines Verstorbenen. Seine Freunde vermieden es, in solchen Augenblicken mit ihm zu diskutieren, wenn seine Stimme neutral und farblos wurde und seine blauen Augen ihr Leuchten verloren. Und ich möchte, daß die Tür zugemacht wird.
    Die Tür zugemacht, die Tür zugemacht: Der Psychiater und seine Frau ließen die Tür zum Zimmer der Töchter immer offen, und manchmal, wenn sie sich liebten, vermischten sich deren wirre Traumworte mit ihren Seufzern zu einem Zopf aus Lauten, der sie miteinander auf so innige Weise verband, daß die Gewißheit, sich niemals trennen zu können, die Angst vor dem Tod milderte und sie durch das beruhigende Gefühl von Ewigkeit ersetzte: Nichts würde anders sein, als es jetzt
war, die Töchter würden niemals größer werden, und die Nacht würde in einer riesigen Stille aus Zärtlichkeit weitergehen, die vor Müdigkeit schlaffe Katze neben der Heizung, die Wäsche aufs Geratewohl auf den Stühlen verteilt liegen und die treue Gesellschaft der bekannten Dinge andauern. Er dachte daran, wie sich auf der Bettdecke weiße Flecken von Sperma und Vaginalzäpfchen vermehrten, und daran, daß auf dem Kopfkissen seiner Frau immer Wimperntuschespuren waren, dachte an ihren unsagbaren Gesichtsausdruck, wenn sie kam oder wenn sie, auf ihm hockend, die Hände im Nacken verschränkte und den Körper hin und her bewegte, um seinen Penis besser zu spüren, wobei ihre großen Brüste am schmalen Oberkörper leicht schaukelten. GTS, sagte er wortlos zu ihr, während er an seinem Schreibtisch im Krankenhaus saß und wieder den Morsecode aufgriff, mit dem sie sich verständigten und den niemand sonst kannte, GTS bis zum Ende der Welt, meine Liebste, jetzt sind wir bereits Pedro und Inês in ihren Sarkophagen von Alcobaça, warten auf das Wunder, das kommen soll. Und er erinnerte sich, um der drohenden Gefahr von Tränen zu entgehen, daran, wie er sich vorgestellt hatte, daß die Haare der steinernen Prinzessinnen in staubigen Zöpfen in den Kopf hineinwuchsen, und daß er das in eines der Hefte mit Gedichten geschrieben hatte, die er regelmäßig zerstörte, wie bestimmte Vögel ihre Jungen voll gelangweilter Grausamkeit auffraßen. Er haßte es jedesmal mehr, gerührt zu sein: Ein Zeichen, daß ich alt werde, stellte er fest und erfüllte so den Satz seiner Mutter, den sie mit prophetischer Feierlichkeit im Salon in die Luft geworfen hatte:
    – Mit so einem Charakter wie deinem wirst du einsam wie ein Hund enden.

    Und die Porträts in ihren Rahmen schienen ihr recht zu geben, indem sie ihr vergilbt zunickten.
    Das Christkind, das nicht aufgehört hatte, den an die Fensterscheibe geklebten Botelho zu fixieren, warf dem Arzt einen schnellen Seitenblick zu, und dieser, der aus seiner inneren Geschichte zu dem Grund zurückkehrte, der ihn hierhergeführt hatte, ergriff die Feindseligkeit des Jungen wie jemand, der in letzter Sekunde auf das Trittbrett einer fahrenden Straßenbahn aufspringt.
    – Wie sieht’s aus bei dir im Hirnkasten? fragte er.
    Am leichten Zittern der Nasenflügel merkte er, daß der Junge zögerte, und er

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