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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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spielte alle Karten aus, da er sich an die Anweisungen zur Rettung Schiffbrüchiger aus seiner Kindheit erinnerte, Plakate, die an dem Bademeisterhaus am Strand angeschlagen waren und Männer mit Schnurrbart und geringeltem Badeanzug zeigten, die über fünf winzig gedruckten Prosaspalten mit Warnungen und Verboten schwammen.
    – Hör mal, sagte er zu dem Jungen, ich finde das genauso schrecklich wie du, und das hier ist nicht das Gerede eines Bullen auf der Wache, dem die Hand locker sitzt. Selbst wenn mir deine Alten eine Wumme an den Kopf hielten, würdest du nicht hierbleiben, aber es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn du mir mal ein bißchen erklären könntest, was los ist: Kann sein, daß wir beide zusammen begreifen, was hier beschissen läuft, vielleicht auch nicht, aber keiner von uns beiden verliert was dabei, wenn er es mal versucht.
    Der Rotblonde war zur Betrachtung des Fensters zurückgekehrt: Er maß in seinem Inneren, was zu ihm gesagt worden war, und entschied sich fürs Schweigen. Seine rosa Wimpern
glitzerten in der Sonne ähnlich wie Spinnweben, die auf den Dachböden die Balken verbinden.
    – Du mußt mir helfen, damit ich dir helfen kann, ließ der Psychiater nicht locker. Wenn jeder nur sein Ding macht, kommen wir nicht weiter, und ich rede ganz ehrlich mit dir. Du bist allein und am Arsch, und deine Eltern da draußen wollen dich hier reinstecken. Verflucht noch mal, ich bitte dich nur darum, mit mir zusammenzuarbeiten, damit wir das verhindern können und du nicht weiter wie ein erschrecktes Frettchen dasitzt.
    Das Christkind studierte weiter mit offenem Mund die Gomes Freire, und dem Psychiater wurde klar, daß es dumm war, weiterzumachen: Er zog den Hefter-Bauern zurück und spürte die angenehme Kälte des Metalls an der Haut, stützte die Handflächen auf der grünen Schreibunterlage auf, erhob sich schließlich widerwillig wie ein von einem zur Unzeit gekommenen Christus erweckter Lazarus. Im Hinausgehen fuhr er mit den Fingern durch das Haar des Jungen, und dessen Schädel zog sich zwischen die Schultern zurück wie eine Schildkröte, die eilig in ihrem Panzer verschwindet: Für diesen Kerl und für mich ist nicht mehr viel zu machen, dachte der Psychiater, wir sind beide, wenn auch auf unterschiedliche Art, ganz unten angekommen, dort, wohin kein Arm reicht, und wenn der Rest Sauerstoff in der Lunge aufgebraucht ist, dann gute Nacht, Marie. Hoffentlich reiße ich aber bei diesem Absturz nicht noch jemanden mit mir.
    Er öffnete die Tür mit einem Ruck und traf auf die Eltern des Jungen, die kindlich spionierend zum Schlüsselloch gebeugt standen: Sie richteten sich beide so schnell auf, wie sie konnten, erlangten energisch die verbriefte Würde von Erwachsenen zurück, und der Arzt sah sie beinahe voller Mitleid
an, mit ebenjenem Mitleid, das ihn jeden Morgen überfiel, wenn er sein bärtiges Gesicht ansah, in dem er sich kaum wiedererkannte, diese verbrauchte Karikatur seiner selbst. Der Krankenpfleger näherte sich, nachdem die Kranken zu Mittag gegessen hatten, dicht an der Wand in den Holzpantinen entlangschlurfend, die er für gewöhnlich im Dienst trug. Das nahe Schnarchen des Alkoholikers, der die Spritze bekommen hatte, ähnelte dem rhythmischen Quietschen einer nassen Schuhsohle.
    – Sie werden den Jungen wieder mit nach Hause nehmen, sagte der Psychiater zu den Eltern des Rotblonden. Sie werden Ihren Sohn fein ordentlich und ruhig mit nach Hause nehmen und kommen am Montag zu einer ausführlichen, ruhigen Unterhaltung wieder, denn diese Angelegenheit braucht lange, vorher abgemachte Gespräche, ohne jede Eile. Und nutzen Sie den Sonntag, um sich mal in Ihrem und dem Inneren des Spatzen in seinem Käfig umzusehen, sich mal so richtig in Ihrem und dem Inneren des Spatzen in seinem Käfig umzusehen.
    Wenige Minuten später fand er sich im Hof des Krankenhauses neben seinem kleinen, verbeulten, stets dreckigen Wagen wieder, mein fahrbarer Minibunker, meine Zuflucht. Irgendwann, schon bald, beschloß er, verliere ich jede Selbstbeherrschung und klebe eine Porzellanschwalbe auf die Kühlerhaube.

Als er ins Restaurant kam, fast im Laufschritt, weil die Uhr in der Garage Viertel nach eins gezeigt hatte, erwartete ihn der Freund auf der anderen Seite der Glastür und sah sich die Krimis genauer an, die sich auf einer Art Drehregal aus Draht stapelten, einer mit dem Mist rechtslastiger, auf dem Boden angehäufter Zeitungen gedüngten Metalltanne. Die fuchsgesichtige Angestellte

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