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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Filmen seiner Kindheit getan hatten. Wir sind beide, er wie ich, Sandokans in mittlerem
Alter, dachte der Arzt, wo das Abenteuer darin besteht, in der Zeitung die Seite mit den Todesanzeigen in der Hoffnung zu entziffern, die Auslassung unseres Namens möge uns garantieren, daß wir noch am Leben sind. Und dennoch zerfallen wir in Einzelteile, die Haare, der Blinddarm, die Galle, ein paar Zähne, als wären wir zerlegbar. Draußen bewegte der Wind die Platanenzweige, so wie er die Haare des Jungen im Krankenhaus berührt hatte, und hinter dem Gefängnis braute sich dickes, drohendes Grau zusammen. Der Freund berührte ihn leicht am Ellenbogen: Er war groß, jung, ein wenig gebeugt, und sein Blick besaß gelassene, pflanzliche Sanftheit.
    – Mein Großvater hat dort etliche Monate verbracht, informierte ihn der Psychiater, indem er mit dem Kinn auf das Gefängnisgebäude und die Pappmauer am Marquês da Fronteira wies, die jetzt dunkel vom nahen Regen war. Er war etliche Monate nach der Revolte von Monsanto dort, die Monarchistentruppe, du weißt schon, bis zum Ende hat er die Zeitung Debate abonniert. Mein Vater hat uns immer erzählt, wie er ihn mit meiner Großmutter im Knast besucht hat und wie beide im Sommer, von der Hitze erdrückt, die Avenida hinaufgingen, er im Matrosenanzug wie ein Leierkastenäffchen, sie, mit Hut und Sonnenschirm, schob den schwangeren Bauch vor sich her wie Florentino, der Umzugsbursche, der in einer riesigen Handkarre Klaviere durch Benfica transportierte. Nein, ehrlich, stell dir das Bild vor, die blauäugige Deutsche, deren Vater sich mit zwei Pistolen das Leben genommen hat, er hat sich an den Schreibtisch gesetzt und zack, und der kleine, in seine Karnevalstracht gezwängte Junge, ein Duo auf dem Weg zu einem schnurrbärtigen Hauptmann, der mit einem Verwundeten auf dem Rücken von der Festung heruntergekommen
war, bis er auf die Gewehre der Carbonarier stieß. Auf den ovalen Fotos erkennt man nicht einmal die Gesichtszüge aus dieser feurigen Zeit, und als wir geboren wurden, hatte Salazar das Land bereits in ein gezähmtes Priesterseminar verwandelt.
    – Als ich zur Schule ging, sagte der Freund, hat uns die Lehrerin, deren übrigens schiefe Füße nach Schweiß stanken, aufgetragen, die Tiere aus dem Zoo zu malen, und ich habe den Hundefriedhof gemacht, erinnerst du dich noch an den? Der Alto de São João für Pudel? Manchmal habe ich das Gefühl, daß ganz Portugal ein bißchen so ist, der schlechte Geschmack der Saudade im Diminutiv und unter häßlichen Grabsteinen bestattetes Gebell.
    – Unserem Mondego in ewiger Sehnsucht von seinem Lenchen, erklärte der Arzt.
    – Dem lieben Bijú von seinen Herrchen, die ihn niemals vergessen, Milu und Fernando, antwortete der Freund.
    – Jetzt haben sie im Diário de Notícias die Köter-Bestattungen durch die Danksagungen an den Heiligen Geist und an das Jesuskind von Prag ersetzt, sagte der Psychiater. Was für ein Land: Wenn König Pedro I. wiederkäme, würde er im ganzen Reich niemanden finden, den er kastrieren könnte. Man wird schon reif fürs Altersheim geboren, und unsere Ambitionen beschränken sich auf den ersten Preis bei der Verlosung der Blindenliga João de Deus, einen mickrigen Ford Capri auf einem Lastwagen mit brüllenden Lautsprechern.
    Der Freund streifte die Schulter des Arztes mit seinem blonden Bart: Er wirkte wie das Mitglied einer ökologischen Bewegung, dessen großzügige Konzession an die Bourgeoisie eine Krawatte war.

    – Hast du in letzter Zeit geschrieben? fragte er.
    Jeden Monat stellte er unversehens diese Frage, die den Psychiater niederschmetterte, weil für ihn das Herumhantieren mit Worten eine Art heimliche Schande war, eine ewig aufgeschobene Obsession.
    – Solange ich es nicht mache, kann ich immer glauben, daß ich es, falls ich es mache, gut mache, erklärte er, und mich so für die vielen hinkenden Beine eines humpelnden Tausendfüßlers entschuldigen, verstehst du? Aber wenn ich ernsthaft mit einem Buch anfange und Scheiße gebäre, welche Entschuldigung bleibt mir dann noch?
    – Es könnte doch sein, daß du keine Scheiße gebärst, führte der Freund ins Feld.
    – Ich kann auch das Haus aus der Weihnachtsausgabe der Eva gewinnen, ohne die Zeitschrift je gekauft zu haben. Oder zum Papst gewählt werden. Oder in einem vollen Stadion bei einem Freistoß den Ball mit einem Lop im Tor versenken. Laß nur, wenn ich einmal tot bin, wirst du meine unveröffentlichten Werke mit einem

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