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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Herkunft, bis er im Erdgeschoß eine Tür fand, die weit zu einem leeren Zimmer geöffnet war, in dem es weder Bilder noch Gardinen gab und das mit einem von schwarzem Tuch bedeckten Sarg, der auf zwei Bänken stand, und einer Frau mittleren Alters möbliert war, der Tränen über die Wangen liefen, einem Wesen aus dem Panzerkreuzer Potemkin, einer tragischen Statue des Unglücks.
    Möglicherweise ist genau dies das Leben, dachte der Arzt, als er über einen Korb mit Chrysanthemen sprang, um den Wagen zu erreichen, der wie der Leichnam eines Ordensritters in Blüten versunken war, ein Toter in der Mitte und ringsum das Fest des heiligen Antonius, der Kern der Traurigkeit, umringt vom fröhlichen Fruchtfleisch gegrillter Sardinen und von Feuerwerksraketen, und er fand, daß Zahnschmerzen in ihm kitschige Bilder wie die in Mode & Handarbeit weckten, die den wahren Grund seiner Seele bildeten: Wenn ihm bang ums Herz wurde, tauchten sie auf, der schlechte Geschmack,
der Glaube an den Gekreuzigten und der Wunsch, wie ein Beuteltierjunges in den Beutel irgendeines Schoßes zu flüchten, ursprüngliches Material, das unter dem Lack der Verachtung weitergelebt hatte. Er startete den Motor, um der Insel aus süßen Blütenblättern zu entkommen, aus der er wie ein Delphin aus einem See unter Kolbenschluchzen heraussprang, und fuhr, Blumenstengel verteilend wie die Venus von Boticelli in der Neufassung eines Cesário Verde, die Martim Moniz hinunter: Das Gefühl eines westlichen Menschen war so etwas wie seine Unterwäsche, Unterhosen aus Alexandrinern, die nicht einmal für die lodernden Minuten einer flüchtigen Beziehung ausgezogen wurden.
    Die ewig graue, selbst in der Julisonne regnerisch traurige Avenida Almirante Reis, zu beiden Seiten entweder von Zeitungsjungen oder Invaliden gesäumt, trottete zwischen zwei kariösen Gebäudekiefern zum Tejo hinunter wie ein Herr in zu engen neuen Schuhen zur Straßenbahnhaltestelle. In den Straßencafés, denen auf Bretterpißpötten hockende Schuhputzer eine eigenartige Kinderkrippenatmosphäre verliehen, brachten Unternehmer mit wachsamen Augen geschmuggelte Uhren an den Mann. In den Cafés, die riesig waren wie leere Schwimmbäder, harrten einsame Kellner vor uralten Milchkaffees und gebutterten Toasts aus dem Tertiär, in wartender Haltung gefroren, des Jüngsten Gerichts. Von Küchenschaben bewohnte Friseursalons schlugen unerwartete Lösungen kapillarer Probleme für phantasielose Hausfrauen vor, denen staubige Kurzwarenläden mit Büstenhaltern, Moskitonetzen für den Brustkorb, die mit ihren fabelhaften Aufrichtungsfähigkeiten fünfundzwanzig Jahren ehelicher Resignation zu erneuter Jugend verhelfen konnten, den letzten Schliff verleihen
würden. Der Psychiater mochte die kleinen Seitenstraßen, die in diesen majestätischen, langsamen Strom weiterer Kramläden und Vorstadtschuhgeschäfte einmündeten, die ein Provinzuniversum hinunter in die Baixa schoben, Stückchen von Póvoa de Santo Adrião, die durch Lissabon trieben, unerwartete Bierlokale mit einem Teppich aus Lupinenkernschalen: Fernab der großen Geschäfte, der kompetenten Kassierer, die besser angezogen waren als er, fernab der mit bronzenem Ungestüm gestikulierenden Königsmörder atmete er freier. Als Kind hatte er Stunden in der Kohlenhandlung in der Nachbarschaft des Hauses seiner Eltern verbracht, wo ein rußgeschwärzter Titan Briketts herstellte und seiner Frau monströse Schläge androhte, und es kam vor, daß er während des Mittagessens mit der Gabel innehielt, um dem dumpfen Echo dieser energischen Liebe zu lauschen: Wenn er die Wahl hätte, würde er sich zweifellos zwischen falschen Stilmöbeln und Vasen mit Plastikrosen verschanzen und, falls er erkranken würde, im Krankenhaus verlangen, daß der Sauerstoff mit Knoblauch parfümiert wird.
    An der Praça da Figueira, wo man, so wie der Schatten eines Lächelns eine bevorstehende Versöhnung ankündigt, die Nähe der Möwen an der Unruhe der Spatzen erahnt, hörte der Backenzahn, von den Handreichungen des Zahnarztes gezähmt, der ihn in die Mittelmäßigkeit der Anonymität versetzt hatte, ganz auf zu schmerzen: Dieser Bohrerprofi hatte etwas von einem Schulpräfekten, der allzeit bereit war, die Launen der Exzentriker mit Stockhieben zu besänftigen. König João IV., ein problematischer Held, starrte mit leeren Augenhöhlen auf eine Reihe Balkons, Büros von Vertretungen, die Schimmel, kalten Tabak und die Menschheit vertraten. Hinter
jeder Wand

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