Elefantengedaechtnis
seine Schüchternheit und seine Angst kristallisierte. Da er keine Großzügigkeit, Toleranz und Sanftheit besaß, war er nur darum besorgt, daß man sich um ihn kümmerte, und hatte sich selbst zum einzigen Thema einer monotonen Symphonie gemacht. Er fragte sogar Freunde, wie sie es schafften, fern von der egozentrischen Umlaufbahn zu existieren, von der die Romane und Gedichte, die er verbrach, ohne sie je zu schreiben, so etwas wie eine narzißtische Verlängerung ohne Verbindung zum Leben bildeten, eine hohle Architektur von
Worten, ein Design von Sätzen ohne Gefühl. Als hingerissener Zuschauer seines eigenen Leidens hatte er vor, die Vergangenheit neu zu formulieren, obwohl er nicht einmal fähig war, für die Gegenwart zu kämpfen. Feige und eitel flüchtete er davor, sich selbst in die Augen zu sehen, seine Wirklichkeit als nutzloser Leichnam zu begreifen und mit der angstvollen Lehrzeit des Am-Leben-Seins zu beginnen.
Trauben von Müttern in seinem Alter (eine Tatsache, die ihn immer noch überraschte, weil er Schwierigkeiten damit hatte, sich einzugestehen, daß er älter wurde) begannen, sich aufgeregt wie Legehennen um das Schultor herum zu gruppieren, und der Arzt überlegte, ob er in die Wohnung seiner greisen Tante hinaufsteigen sollte, von wo aus er, hinter dem Porträt des Kardinalerzbischofs verschanzt, der einem Weißclown ähnlich sah, den Schulschluß aus dem einfachen Winkel eines Heckenschützen heraus beobachten könnte, der aus dem Doppelrohr seiner Augenringe Sehnsucht feuert. Doch die blinde Augenhöhle des Dienstmädchens würde ihn unerbittlich von einer Katze zur anderen, von einem Bischof zum anderen verfolgen, sein Inneres mit dem milchigen Licht ihres grauen Stars ausleuchten, und das bewog ihn, von seinem Oswald-Vorhaben abzusehen: Er wußte, daß er zu schwach war, um ein schweigendes Verhör durchzustehen, mit dem Jubel der beiden Alten als Kontrapunkt, die ganz bestimmt darauf bestehen würden, ihm zum millionstenmal die stürmische Geschichte seiner Geburt zu erzählen, ein lila, an Sekreten erstickendes Kind neben seiner an Eklampsie leidenden Mutter. Resigniert im Schützengraben der Pastelaria, deren Kaffeemaschine Dampf aus den ungeduldigen Aluminiumvollblutpferdnüstern wieherte, stützte er die Ellenbogen auf
den elektrischen Eisberg der Kühltruhe wie ein Eskimo, der sein Iglu umarmt, und wartete weiter an der Seite eines beinlosen Bettlers, der auf einer Decke saß und zwei Finger auf der Höhe fremder Knie ausstreckte.
Wie in Afrika, dachte er, genau wie in Afrika, wenn er das wunderbare Nahen der Dämmerung in Marimba auf dem Django, dem Versammlungsort der Männer, erwartete, während die Wolken den Cambo und die Ebene von Cassanje verdunkelten, die sich bereits mit dem Echo des Donners füllte. Die Ankunft der Dämmerung und der Post, die die Kolonne brachte, deine langen, von Liebe feuchten Briefe. Du krank in Luanda, das Mädchen weit weg von uns beiden, und der Soldat, der sich in Mangando das Leben genommen hat, legte sich in die Koje, lehnte die Waffe ans Kinn und sagte, Gute Nacht, und da waren Stücke von Zähnen und Knochen in das Wellblechdach getrieben, Flecken aus Blut, Fleisch, Knorpel, die untere Hälfte des Gesichts war in ein grauenhaftes Loch verwandelt, er kämpfte vier Stunden lang, sich wie ein Frosch aufbäumend, mit dem Tod, lag auf der Liege in der Krankenstation, der Gefreite hielt die Petromaxlampe, die große, wirre Schatten an die Wand warf. Mangando und das Bellen der Cabiri, der skelettösen Hunde mit den Fledermausohren, in der Dunkelheit, Morgenröten mit unbekannten Sternen, die Häuptlingsfrau in Dala und ihre kranken Zwillinge, das Volk, das zur Sprechstunde kam und im Malariafieber auf den Stufen des Postens mit den Zähnen klapperte, von der Heftigkeit des Regens zerstörte Pfade. Einmal saßen wir nach dem Mittagessen in der Nähe des Drahtverhaus, auf dieser Art Grabstein, auf den die Wappen der Bataillone gemalt waren, als auf der Straße nach Chiquita ein eindrucksvoller amerikanischer,
staubbedeckter Wagen mit einem Glatzkopf darin auftauchte, einem einzelnen Zivilisten, kein Pide-Mann, kein Verwaltungsbeamter, kein Jäger, keiner von der Lepra-Brigade, sondern ein Fotograf, ein Fotograf, der eine dieser dreibeinigen Kameras vom Strand und vom Jahrmarkt mit sich führte, die ob ihres Alters irreal wirkten, und der vorschlug, Fotos von uns allen zu machen, allein oder in der Gruppe, Geschenke, die wir an die Familie schicken
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