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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Ballonröcke blähten sich in den Schubladen mit den Fotos, ferne Cousinen mit Gamaschen unterhielten sich im Salon, Senhor Barros e Castro rezitierte mit affektierter Diktion Gomes Leal. Wie alt bin ich? fragte er sich, womit er zur regelmäßigen Verifizierung seiner selbst schritt, die ihm ein prekäres Verständnis der äußeren Realität erlaubte, einer klebrigen Masse, in der seine Schritte verblüfft, ziellos einsanken.
Seine Töchter, der Personalausweis und der Ort im Krankenhaus verankerten ihn noch mit dem Alltag, allerdings mit so feinen Fäden, daß er weiterhin schwebte, ein haariger kleiner Samen, von Atemzug zu Atemzug zögernd. Seit er sich von seiner Frau getrennt hatte, hatte er Bodenhaftung und Richtung verloren: Seine Hosen waren ihm in der Taille zu weit, ihm fehlten die Knöpfe am Hemdkragen, er begann allmählich, wie ein asozialer Vagabund auszusehen, an dessen wohlrasiertem Bart man die Asche einer ordentlichen Vergangenheit erkannte. In letzter Zeit fand er, wenn er sich im Spiegel betrachtete, daß seine Züge sich entvölkerten, Falten der Entmutigung an die Stelle der Lachfalten traten. In seinem Gesicht gab es zunehmend mehr Stirn: Bald schon würde er den Scheitel am Ohr ziehen und in einem lächerlichen Traum von Jugend sechs oder sieben von Haargel klebrige Strähnen über die Glatze legen. Er erinnerte sich plötzlich an den traurigen Seufzer seiner Mutter:
    – Meine Söhne sind alle so hübsch, bis sie dreißig werden.
    Und er wünschte sich verzweifelt, an die Startlinie zurückzukehren, an der das Siegesversprechen nicht nur erlaubt, sondern sogar gezwungenermaßen erwünscht ist: Der Bereich von Vorhaben, die sich niemals umsetzen lassen würden, war ein wenig seine Heimat, sein Stadtteil, das Haus, das er bis in seine winzigsten Winkel auswendig kannte, die wackligen Stühle, die Insekten, die intimen Gerüche, die knackenden Dielen.
    – Möchten Sie heute mit mir zu Abend essen ? fragte er das rotblonde Mädchen, das sein verbrecherisches Vorhaben anhand der mittelmäßigen Schlußfolgerungen Perry Masons vervollkommnete,
der im Gericht Syllogismen von unerbittlicher Dummheit aneinanderreihte.
    Die Blutarme rief ihn vom Flur her: Er notierte sich eilig die Telefonnummer auf einem aus der Missionszeitschrift herausgerissenen Stück Papier, auf dem eine Gruppe kannibalischer Sakristane heimlich voller Appetit zusammen aßen (Um sieben? Um halb acht? Sie kommen um halb acht vom Friseur?), und wandte sich zum Behandlungszimmer des Arztes, wobei er sich die rotblonden Schenkel vorstellte, wie sie nach dem Liebesakt zufrieden hingegossen auf dem Bettlaken lagen, die rotblonde Scham, den Duft der Haut. Er setzte sich auf den Folterstuhl, umgeben von finsteren Werkzeugen, Bohrern, Haken, Sonden, Eisen, einem Gaumen auf einem Teller, und gab sich der anregenden Aufgabe hin, sich ihre Wohnung vorzustellen: Kissen auf dem Boden, Bücher vom Buchclub auf den Regalen, Krimskrams von Frauen, die ihre Unschuld nur durch Plüschtiere wiederherstellen, Fotos, die verflossene Idyllen feiern, eine Freundin mit Brille und schlechter Haut, die zwischen antibürgerlichen Rauschschwaden der Marke Três Vintes die Linke diskutierte. Wenn der Arzt seine misogynen Anfälle hatte, klassifizierte er die Frauen immer aufgrund der Zigaretten, die sie rauchten: Die Rasse Marlboro-aber-nichtgeschmuggelt las Gore Vidal, verbrachte den Sommer auf Ibiza, fand Giscard d’Estaing und Prinz Philipp richtig süß und hielt Intelligenz für ein merkwürdiges Ärgernis; der Typ Marlboro-aber-geschmuggelt interessierte sich für Design, Bridge und Agatha Christie (auf englisch), ging immer ins Schwimmbad von Muxaxo und hielt Kultur für ein irgendwie amüsantes Phänomen, wenn sie mit der Liebe zum Golf einherging; die Sorte SG-Gigante mochte Jean Ferrat, Truffaut und den
Nouvel Observateur, wählte die Sozialisten, und ihre Beziehung zu Männern war zugleich emanzipiert und ikonoklastisch ; die Klasse SG-Filter hatte ein Poster mit Che Guevara an der Wand, nährte sich geistig von Reich und Dekorationszeitschriften, konnte nicht ohne Tabletten schlafen und kampierte am Wochenende an der Lagune von Albufeira, wo sie konspirative Pläne für die Gründung einer marxistischen Arbeitsgruppe schmiedete; die vom Stil Português-Suave schminkte sich nicht, trug die Fingernägel ganz kurz, studierte Antipsychiatrie und litt in verquerer Liebe zu häßlichen Liedermachern, die verblichene, karierte Fischerhemden trugen und

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