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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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einer ohne Überraschung akzeptierten Gewohnheit geworden war, machte ihn des grauenhaften Verbrechens schuldig, sie verlassen zu haben. Er konnte sie nur unter der Woche heimlich wie ein Spion ausspähen, konnte der José Matias von zwei Elisas sein, die unwiderruflich verloren waren, die andere Wege gingen als er,
winzige Anteile seines Blutes, die er, der Zerrissene, aus einer immer größeren Entfernung begleitete. Ganz bestimmt hatte seine Fahnenflucht sie enttäuscht und verwirrt, die sie noch immer auf seine Rückkehr warteten, die Schritte auf der Treppe, die ausgebreiteten Arme, das Lachen von einst. Der Satz seines Vaters kreiste spiralförmig in seinem Kopf:
    – Die einzigen, die mir leid tun, sind deine Töchter.
    Ein Satz, der angefüllt war mit der zurückgehaltenen Emotion, an der man bei ihm jene Scham erriet, Zuneigung zu zeigen, die er erst nach seiner Jugend zu erkennen und bewundern gelernt hatte, und er fühlte sich schäbig und bösartig wie ein krankes Tier, sah sich auf eine Gegenwart ohne Zukunft beschränkt, was ihm die Luft zum Atmen nahm. Er hatte aus seinem Leben eine Zwangsjacke gemacht, in der er sich nicht bewegen konnte, gefesselt von den Bändern der Enttäuschung über sich selbst und der Isolation, die ihn mit bitterer Traurigkeit ohne Morgen erfüllte. Irgendeine Uhr schlug halb fünf: Wenn er schnell genug fahren würde, könnte er noch rechtzeitig zum Schulschluß ankommen, einem Befreiungsakt par excellence, einem Sieg des Lachens über die müde Dummheit: Etwas in ihm, das aus fernster Erinnerung stammte, ließ nicht davon ab zu beteuern, daß es irgendwo, vielleicht auf dem Dachboden des Dachbodens oder im Keller des Kellers, eine schwarze, dem schrecklichen offiziellen Gewicht der Rechenbücher widersprechende Tafel gebe, die ihm bestätigte, daß zwei und zwei nicht gleich vier ist.

Von der Gefriertruhe mit der Eiscreme verborgen, die direkt am Schaufenster einer Pastelaria schläfrig wie ein Eisbär schnurrte, spähte der sich duckende Psychiater das Schultor wie eine Rothaut aus, die hinter ihrem Felsen auf die Ankunft der weißen Vorhut wartet. Er hatte sein treues schwarzes Pferd dreihundert oder vierhundert Meter straßenaufwärts, in der Nähe des Parks von Benfica und seiner dicken Tauben zurückgelassen, dieser Falken, die aus der Notwendigkeit, in der Stadt zu überleben, wiederaufbereitet wurden, was auch den Großen Manitu dazu zwingt, sich als Gekreuzigter zu verkleiden, und er war von Platane zu Platane gerobbt und war verblüfft von den Portemonnaies und Schnürsenkel verkaufenden fliegenden Händlern beobachtet worden, Brüdern auf dem Kriegspfad, deren kämpferische Tätigkeit sich auf tumbe Fluchten beim Nahen der Polizei beschränkte, wobei sie die Tabletts mit den Skalpen aus nutzlosem Krimskrams vor sich herschoben. Jetzt, wo er im Schutz der Schokoladeneiscreme mit kurzsichtigen Adleraugen den Horizont der Straße erforschte, ließ der Arzt die Rauchzeichen einer nervösen Zigarette in die Luft der Prärie aufsteigen, die, Silbe für Silbe, seine Bangigkeit übersetzten.
    Im Haus gegenüber wohnte zwischen Katzen und Fotos mit Widmung von jeweils angesagten Bischöfen eine alte, von ihrem einäugigen Dienstmädchen unterstützte Tante, zwei
verehrte Squaws des Familienstammes, die Weihnachten von ungläubigen Verwandten, welche über ihre kämpferische Langlebigkeit überrascht waren, auf Ausflügen besucht wurden. Insgeheim verzieh der Psychiater ihnen nicht, daß sie die Großmutter überlebt hatten, die er so sehr geliebt hatte und deren Andenken ihn immer noch rührte: Wenn er sehr niedergeschlagen gewesen war, ging er zu ihr, trat ins Wohnzimmer, verkündete ihr, ohne sich zu schämen:
    – Ich bin gekommen, damit Sie mich streicheln.
    Und er hatte den Kopf in ihren Schoß gelegt, damit ihre Finger, wenn sie seinen Nacken berührten, seine grundlose Wut linderten und seinen Durst nach Zärtlichkeit stillten: Vom sechzehnten Lebensjahr bis heute bestanden die einzigen Veränderungen, deren er sich bewußt war, im Tod von den drei oder vier Menschen, die für ihn eine beständige Zuneigung empfanden, die allen Schwankungen seiner Launen standhielt. Sein Egoismus maß das Pulsieren der Welt anhand der Aufmerksamkeit, die er erhielt: Als er wach wurde und die anderen sah, war es bereits zu spät, denn die meisten hatten ihm den Rücken zugekehrt, weil sie genug von der Dummheit seiner Arroganz und von dem verächtlichen Sarkasmus hatten, zu denen er

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