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Elefantengedaechtnis

Elefantengedaechtnis

Titel: Elefantengedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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erriet man nicht funktionierende Wasserspülungen, in jedem zerzausten Jüngling den Insassen eines Altersheims der Inválidos do Comércio, in jeder Polizistin verzweifelte Menopausen. Der Arzt erreichte die Rua do Ouro, die mit ihren Wechselstuben steril und gerade war wie die Absichten eines tugendhaften Domherrn, und fuhr zum Parkplatz am Fluß, wo er seit jeher seine Einsamkeit spazierenführte, weil er zu der Sorte Menschen gehörte, die nur über ihre Mittel hinaus zu leiden wußte. Dort, auf einer hölzernen Parkbank, hatte er ganze Nachmittage lang Marc Aurel und Epiktet gelesen, um eine ferne verlorene Liebe herbeizubeschwören. Die Wellen kringelten sich in hündischer Brüderlichkeit zu seinen Füßen, und es war so, als könnte er, von den Fußknöcheln ausgehend, die Ungerechtigkeiten der Welt abwaschen.
    Er hielt den Wagen neben einem Wohnwagen mit deutschem Kennzeichen an, dessen Schmutz auf ein von der trauten Häuslichkeit der gepunkteten Gardinen gemildertes Lechzen nach Abenteuern hinwies, und er drehte die Scheibe herunter, um das schlammige Wasser zu riechen, in dem Männer und Frauen, bis zu den Knien eingesunken, rostige Blechbüchsen mit Ködern füllten. Die Schnitter der Ebbe, sagte er sich, Reiher, die der Faschismus geschaffen hat, langbeinige Vögel des Hungers und des Elends. Die Verse von Sophia Andresen fielen ihm ein, und seine kämpferischen Adern schlugen dabei einen Trommelwirbel:
    Diese Menschen, deren Gesicht
Zuweilen leuchtend
Und dann auch wieder plump

Mich mal an Sklaven
Mich mal an Könige erinnert
     
    Wecken in mir wieder den Gefallen
Am Kampf und am Gefecht
Gegen die Schlange und die Natter
Gegen das Schwein und den Milan .
    Der Verkehr stolperte hinter seinem Rücken, angeschoben von den herrischen Ärmeln der Verkehrspolizisten, die auf Zirkuspodesten standen, Dompteure mit luftigen Ballerinengesten. Vogelläden flogen zwischen Eßlokalen und Drogerien auf, in denen Besen wie haarige Früchte von der Decke hingen, und einige Mansarden stiegen ebenfalls vertikal zum Himmel auf, mit den Schwungfedern der von Balkon zu Balkon zum Trocknen aufgehängten Wäsche, Hemdenflügeln, die vor den Wangen der Fassaden verblichen. Das massive Gebäude des Arsenals bedeckte sich, von nicht wahrscheinlichen Schiffbrüchen träumend, mit grünem Meeresmoos. Etwas weiter in der Ferne breitete ein Friedhof über einer Linie aus Bäumen und Kirchtürmen das weiße Tischtuch seiner Grabmäler aus, die Milchzähnen ähnelten: Die vierte Nachmittagsstunde blähte die städtischen Uhren, deren Geläut toter Tragödien sich anhörte, als stammte es aus der Zeit von Fernão Lopes. Die Züge vom Cais do Sodré schleppten die ersten Spieler und die letzten Touristen nach Estoril, Norweger, deren Zeigefinger verloren auf dem Stadtplan verweilte, und die Straßen und der Fluß begannen in ein und denselben horizontalen Sommerfrieden zusammenzufließen, den die Fabriken in Barreiro in Vorwegnahme des Sonnenuntergangs mit rotem Arbeiterrauch
färbten. Ein Frachtschiff fuhr, von einer Krone gieriger Möwen verfolgt, in Richtung Mündung, und der Psychiater dachte, wie sehr es seinen Töchtern gefallen würde, in diesem Augenblick hier bei ihm zu sein, sie einen Regen aus begeisterten Fragen über ihn ergießen würden. Der Wunsch, sie zu sehen, verlor sich ganz allmählich in den Körpern der Schnitter am Ufer, die sich schreiend etwas zuriefen, das ihn verzerrt oder von der Refraktion der Luft gedämpft erreichte, nur noch das Glitzern von Echos war, die der Wind zu Geräuscheschleiern formte, er verlor sich im Gewicht Lissabons, das an seinen Rücken geheftet war wie ein Buckel aus Häusern, und in den streunenden Hunden, die ringsum vergebens nach der Urinbotschaft des idealen Pekinesen schnupperten. Die winzigen Gesichter der Töchter besaßen den schmerzlichen Umriß seines schlechten Gewissens, das er an den Wochenenden vergeblich mit übermäßiger Nachgiebigkeit und klebriger Zärtlichkeit zu bestechen versuchte, der Weise aus dem Morgenland, der großzügig Schokolade verteilte, die sie nicht von ihm verlangten. Das Wissen, daß er abends nicht zum Gutenachtkuß bei ihnen sein würde, der bereits schwer war von der Mattigkeit des Schlafes, daß er nicht auf Zehenspitzen zu ihnen gehen würde, um ihre Alpträume zu verscheuchen, indem er ihnen die Liebesworte des geheimen Vokabulars von Donald Duck und Schneewittchen in Ohr flüsterte, daß morgens seine Abwesenheit im Ehebett schon zu

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