Elegie - Fluch der Götter
Händen getragen wurden. Tausend Lichtpunkte erstrahlten überall in der Stadt, als ob Arahila die Schöne ein Netz aus Sternen über Meronil ausgeworfen hätte. Und als die Lichter angezündet wurden, erhoben sich die Stimmen der Ellylon im Gesang.
Sie hatte recht gehabt; diese Stadt war ein Ort der Musik. Der Klang war übermenschlich schön. Tausend Stimmen, jede so klar und rein wie eine Glocke. Lilias stützte das Kinn mit der Hand und lauschte. Sie war nicht allein. Sogar die Adler von Meronil beendeten ihr wachsames Kreisen und ließen sich auf den Dächern nieder, wo sie die Schwingen falteten und zuhörten.
Eine Menschenstadt hätte Kriegslieder gesungen. Nicht aber die Ellylon. Sie sangen Klagelieder, Lieder von Verlust und Trauer, Lieder der Erinnerung und des verblassenden Ruhmes. Aus jedem Teil Meronils ertönte ein anderes Lied, und auf rätselhafte Weise bildeten sie alle eine gewaltige und verschlungene Harmonie. Die eine Melodie antwortete der anderen in einem tiefen, wohlklingenden Wechselgesang; der einfache Refrain einer dritten wand sich um die beiden übrigen, hielt sie zusammen und machte sie zum Teil des Ganzen. Eine vierte Melodie stieg hoch über die anderen; es war ein herzzerreißender Klang.
»Und Haomane verlangt von uns, dass wir sie nicht beneiden«, flüsterte Lilias.
Eine Melodie nach der anderen erstarb. In der folgenden klaren Stille sah sie die erste Barke auf dem Aven dahingleiten und verstand. Die pelmaranischen Gesandten hatten mehr als nur ein Versprechen der Unterstützung im drohenden Krieg mitgebracht. Hinter Aracus und seiner rasch reisenden Vorhut waren sie langsamer nachgerückt und hatten auch etliche Wagen mitgeführt. Sie hatten die Getöteten des letzten Krieges nach Hause gebracht, die Ellylon-Toten von Beschtanag.
Es waren nur neun. Die Abteilung der Riverlorn war eine kleine, aber mannhafte Gruppe. Sie hatten tapfer gekämpft. Nur zwei waren von Lilias’ Wächtern getötet worden. Die Gesichter der Leichen waren unbedeckt, und sogar vom Turmzimmer aus erkannte Lilias, dass sie im Tod genauso ernst und schön waren wie im Leben. Die Leichen der Ellylon verwesten nicht wie die der Menschen.
Drei Barken, drei Tote auf jeder Barke. Eine einzelne Lampe hing vom Bugspriet eines jeden Schiffes; ihr Licht glitzerte auf dem Wasser. Die Barken glitten auf einem Fluss aus Sternen dahin, von keiner sichtbaren Hand angetrieben. Die Körper der neun lagen reglos da. Sieben von ihnen waren mit seidenen Leichentüchern bedeckt, ihre Körper waren verborgen, ihre Gesichter verdeckt.
Das waren diejenigen, die Calandor mit seinem Feuer getötet hatte.
Hoch oben an ihrem Fenster erzitterte die einsame Lilias. »Warum
habt ihr uns nicht einfach in Ruhe gelassen?«, flüsterte sie, aber sie wusste, dass es eine sinnlose Frage war, wahr und falsch zugleich. Sie waren nach Beschtanag gekommen, weil Lilias sie dorthin gelockt hatte. Doch was auch immer der Grund war, an ihrem Tod änderte das nichts.
Eine vierte Barke kam in Sicht; sie war größer als die anderen. Sie wurde von Ellylon-Händen gestakt und trug eine lebende Fracht. Im Bug stand Malthus der Gesandte, eindeutig zu erkennen an seiner weißen Robe und dem fließenden Bart. Er hielt einen Stab in der Hand. Zu seiner Rechten befand sich Aracus Altorus, dessen blondes Haar in der Dunkelheit matter wirkte, und links von ihm erkannte sie Ingolin den Weisen. Andere standen hinter ihnen: Lorenlasse von Valmaré zum Beispiel, der mit den Gemordeten verwandt war. Es erhob sich ein leises, fließendes Gemurmel, als die Staker die Barke anhielten.
Malthus hob seinen Stab und sprach ein einziges Wort.
Was er da in der Hand hielt, war kein Stab, sondern der Speer des Lichts. Als er sprach, brach der klare Soumanië auf seiner Brust in ein strahlendes weißes Licht aus. Es entzündete den Speer in seiner Hand. Ranken aus weiß-goldener Helligkeit hüllten ihn in seiner ganzen Länge ein und zeichneten Bilder in die Finsternis. Die spitze Klinge leuchtete wie ein Stern. In seinem Licht konnte ganz Meronil die ins Dunkel hineintreibenden Hecks der drei Barken erkennen, die still auf dem Aven dahinglitten und ihre schweigenden Passagiere mitnahmen. Die Barken würden sie bis zum Trennenden Meer bringen in der Hoffnung, das Meer werde sie nach Torath, der Krone, führen, wo sie im Tod mit Haomane dem Erstgeborenen und Gedankenfürsten wiedervereint sein würden.
Eine Stimme, eine einzelne Stimme erhob sich.
Es war die Stimme
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