Elegie - Herr der Dunkelheit
doch, das habe ich.« Carfax hielt sich die schmerzende Hand und sah von einem zum anderen. »Es ist das Wasser des Lebens, das der Junge trägt, nicht wahr? Und niemand sonst könnte es tragen.« Unter Lachen und Schluckauf bemühte er sich, wieder ruhiger zu atmen. »Wieso würdet ihr ihn sonst mit euch nehmen?«, keuchte er. »Welche Kräfte hat es wohl, frage ich mich? Nein, lasst mich raten!«
Ein dunkler Schatten fiel auf das Deck.
»Stakkianer«, grollte eine tiefe Stimme mit starkem Akzent.
Carfax drehte den Kopf und sah, dass das Gesicht des dicken Thulu die Sonne verdeckte, während sein schwerer Bauch einen großen Schatten warf. Eine große Hand umfasste den Grabstock, und Schweiß glänzte ölig auf der breiten Nase. »Du.« Carfax zeigte auf ihn. »Du wirst hier nur geduldet, nicht wahr? Deine Gegenwart wird nur deswegen ertragen, damit der Junge tut, was man ihm sagt. Du bist eine Witzfigur, Dicker! Die Weisen würden eher einen Esel zu ihren Beratungen bitten als dich!«
»Das mag sein«, sagte Thulu ruhig und hockte sich auf seine dicken Schenkel.
Carfax starrte ihn an. Hobard von Malumdoorn hob in abwertender Geste die Hände und wandte sich ab. Die Zwergenmannschaft flüsterte untereinander und zuckte die Achseln, wandte sich dann desinteressiert und mit fachkundigen Handgriffen wieder ihrer Arbeit zu. Dani verkroch sich hinter der Schulter seines Onkels und runzelte konzentriert die Stirn. »Und dir ist das alles egal?«, fragte Carfax schließlich. »Ist es dir egal , dass sie dich verachten? Ist es dir egal, dass sie bei all ihrer Weisheit auch falschliegen könnten?«
»Spielt das eine Rolle?« Thulu stützte das Kinn auf seine Faust und sah ihn an. »Es gibt solche und solche Weisheit. Dani ist der Träger, und die Entscheidung liegt allein bei ihm. Ich bin hier, um ihm Schutz zu gewähren. Das ist alles.«
Das Sonnenlicht schimmerte stumpf auf dem Tonfläschchen, das am Hals des Jungen hing.
Wasser.
Es war das Wasser des Lebens, und es konnte einen toten Ast wie einen Steckling grüne Blätter austreiben lassen. Was konnte es sonst noch bewirken?
Wenn das Unbekannte einst bekannt ist, die verlorene Waffe gefunden, das Feuermark erloschen…
Uschahin! Traumspinner! Allein und unbewandert in der Kunst der Magie, schleuderte Carfax seine verzweifelten Gedanken hinaus in den Wind. Als er auf die von Malthus’ Willen errichteten Mauern traf, prallte sein Ruf zurück und hallte in seinem schmerzenden Kopf wider wie Donner in einer hohlen Schlucht, und nur die Möwen antworteten ihm mit ihren rauen, kehligen Schreien.
Er rollte sich an Deck zusammen, hielt sich den Kopf und weinte.
Zauberin.
Ein Gedankenflüstern kam über die alten Bahnen des Marasoumië.
Lilias wartete in der Höhle, gefasst und ruhig, und sie sah, wie das Licht des Knotenpunkts hart und rot aufflackerte und damit die Pulsschläge anzeigte, die sich auf den verzweigten Bahnen nach Osten bewegten. Es kam jemand, einer der Gebrandmarkten.
Dieses Mal war sie bereit.
Beschtanag war bereit.
Eine steinerne Mauer umgab den Fuß des Berges, Granit, fugenlos und glatt poliert. Und auch wenn sie nun an Körper und Geist erschöpft war, die Mauer stand. Nur eine kleine Lücke war noch offen, und dort lagen rohe Steine aufgetürmt, die nur auf die Berührung ihrer Gedanken warteten, um sich miteinander zu verbinden. Die Zisternen waren gefüllt, die Vorratskammern gut bestückt.
Nun erschien eine Gestalt mit blassem, schimmerndem Haar und ungleichen Augen, noch ganz verschwommen – ruckelnd, eckig, als seien die Glieder mitten in einer Bewegung eingefroren, aber zu schnell unterwegs in der Zeit, als dass man sie hätte wirklich sehen können. Verzerrte Gesichtszüge erschienen rot im plötzlichen Aufglühen der Lichter des Knotens.
»Träumer.« Lilias neigte den Kopf.
»Zauberin.« Obwohl sein Körper so verkrüppelt war, trat er doch mit einer seltsamen, buckligen Eleganz aus den Bahnen und grüßte sie ebenfalls mit einer Kopfbewegung. Er mochte Pelmaranisch mit demselben Akzent sprechen wie sie, aber letzten Endes war er doch ein halber Ellyl. »Ich bringe Euch Grüße aus Finsterflucht.«
»Gibt es Neuigkeiten?« Als sie die Brauen hob, fühlte sie das Gewicht des Soumanië.
»Ja und nein.« Uschahin holte tief Luft. »Hohe Frau, lasst uns beraten.«
Er folgte ihr durch die Tunnel in die Festung von Beschtanag, in ihr rosa- und bernsteinfarben ausstaffiertes Zimmer, in dem die kniende Sarika darauf
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