Elegie - Herr der Dunkelheit
den er über ihren Kopf hielt. Die Regentropfen rannen über den Stoff wie silberne, auf Schnüre gezogene Perlen.
»Geht es Euch gut, Gebieterin?«, fragte er besorgt. »Ihr werdet Euch in diesem Regen erkälten!«
»Von mir aus.« Lilias lächelte humorlos. »Lasst uns hoffen, dass nichts Schlimmeres als eine Erkältung auf uns wartet.« Und noch während sie sprach, legte sie die Fingerspitzen an die Schläfen, konzentrierte sich auf die Belagerungstürme und beschwor die Kraft des Soumanië, dessen Einfluss sie nun nutzte, um die Türme zu verstehen und ihre einzelnen Bestandteile zu beherrschen.
Holz.
Kiefernholz.
Es war frisch gefällt und von den Äxten der Verbündeten Haomanes behauen worden. Kräftige Stämme waren für die Stützen benutzt worden, schlankere für die Plattformen. Lebenssaft sickerte aus den abgeschlagenen, gesplitterten Enden. In ihren Herzen, dort, wo neues Wachstum entstand, war der Kern rosafarben. Bleiche Holzschichten umschlossen ihn, Schicht um Schicht, noch feucht und elastisch. Drum herum lag die Borke, dunkel und zäh, rau von Schuppen und kleinen Ästen. Regen, der eigentlich die Wurzeln hätte wässern sollen, tropfte nun auf tote Borke, machte sie schlüpfrig und weich und drang immer weiter bis zum grünen Holz vor.
Wasser.
Zu viel Wasser.
Lilias sammelte das Wasser mithilfe des Soumanië.
Es war ein kompliziertes Ding, das Haomanes Verbündete gebaut hatten; vier komplizierte Dinge. Ast um Ast, Stamm und Stamm legte sie die Belagerungstürme trocken. Das Mark starb, die rosafarbene Mitte wurde bleich. Weiter nach außen nahm das blasse Holz eine aschgraue Farbe an. Eine Nebelwolke stieg über den Türmen auf, als die Borke verwitterte und trocknete, und sie umhüllte die Angreifer mit einem bleichen Schleier. Die Soldaten aus Aracus Altorus’ Heer
liefen nun ziellos herum, verwirrt und ohne Orientierung. Wo es den Stiefeln zuvor schwergefallen war, Halt auf den glitschigen Stämmen zu finden, blätterten nun trockene Borkenstückchen ab und fielen herunter.
Lilias hielt den Gedanken an Wasser in ihrem Kopf fest und bewegte es schließlich, bis die Luft schwer vor Nebel war und kein bisschen Feuchtigkeit mehr in den Holzbauten steckte. Nun drang scharfes Knacken unter den Stiefeln der Feinde hervor, als die Äste unter ihrem Gewicht brachen und splitterten.
Die Belagerungstürme waren zu Zunderbüchsen geworden.
»Jetzt!«, brüllte Gergon und schwenkte den Arm.
Pechtöpfe wurden angezündet und die Katapulte schlugen mit dumpfem Krachen los, eine Salve nach der anderen. Manche Geschosse verfehlten ihr Ziel, aber die meisten trafen. Gergons Bogenschützen ließen nun einen Pfeilhagel mit brennenden, ölgetränkten Lappen folgen. Wo sie einschlugen, ließ das Pech hohe Flammen aufflackern und setzte das knochentrockene Holz in Brand. Trotz des strömenden Regens brannten die Türme lichterloh; hölzerne, lodernde Gerippe. Hier und dort waren Schmerzensschreie zu hören, von jenen ausgestoßen, die zu langsam gewesen waren, um zu fliehen. Eine hohe Feuerwand erhob sich in den Himmel, während Haomanes Verbündete den Rückzug antraten, ihre Belagerungsmaschinen aufgaben und in den sicheren Wald flohen. Die beschtanagischen Verteidiger feierten mit lauten Rufen den Sieg.
Lilias schwankte vor Entkräftung.
»Hier entlang«, flüsterte Pietre und nahm sie am Arm. »Gebieterin.«
Einen stolpernden Schritt nach dem anderen ließ sie sich den Berg hinaufführen. Am Eingang der Festung war ein anderer ihrer Hübschen zur Stelle, um ihr den tropfnassen Mantel abzunehmen. Radovan, der ihr mit seinen glühenden Augen einst so sehr gefallen hatte, begehrte gegen den Bann auf, der ihn an sie band, und unterhöhlte nun ihren fast erschöpften Willen. Er war es, den sie schon längst hätte gehen lassen sollen. Nun war es zu spät, über derartige Nettigkeiten nachzudenken.
»Gebieterin.« Seine Hände waren besorgt, seine Stimme verzichtete auf Höflichkeit. In seinem Blick lag Verachtung. »Und wieder beschützt Ihr uns.«
Pietre trat zornig vor. »Lass sie in Ruhe, Radovan!«
»Nein.« Sie legte eine Hand auf Pietres Brust, von ihren Streitereien ausgelaugt. Der Soumanië war wie ein eisernes Gewicht auf ihrer Stirn. Ihr Nacken schmerzte unter dem Druck, und sie wollte sich nur noch ausruhen, obwohl gerade eben erst der Morgen graute. »Lass es gut sein, Pietre.«
Lilias? Sie kommen, kleine Schwester. Das Finsterflucht-Heer reist durch die Bahnen.
Es war die Stimme
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