Elegie - Herr der Dunkelheit
auch nicht.
»Ja, meine Kleine«, sagte er und glitt mühelos hinter ihre Augen und in ihre Gedanken, die er nun verbog , um sein Vorhaben leichter zu erreichen. »Mir geht es gut, ebenso wie dir. Ich muss ein Boot kaufen, einen Kahn, so wie ihn die Fischer im Delta verwenden. Ein so kluges Mädchen wie du weiß doch sicher, wo ich so etwas finden könnte.«
»Oh, natürlich, da musst du zu Caitlins Vater!« Sie strahlte ihn voller Stolz an, glücklich, die Antwort zu wissen. Was auch immer sie vom Tod des Marasoumië gespürt hatte, es war vergessen. »Er ist ein Bootsbauer, Herr. Er wird euch einen Kahn verkaufen!«
»Gut gemacht, Kleine.« Uschahin erhob sich aus dem Schneidersitz. Er rückte die Kapuze seines Mantels zurecht, dann streckte er die Hand aus und unterdrückte ein Lächeln, als sie seine verdrehten Finger mit ihrer vertrauensvollen, dreckigen Hand umschloss.»Bring mich zu ihm.«
Ihr war keine Rückzugsmöglichkeit mehr geblieben.
Das war eine der schlimmsten Folgen der Besetzung von Beschtanag. Es war schwer mit anzusehen gewesen, wie Gergon in Ketten durch die Festung geführt wurde und ihr einen gequälten Blick zuwarf, um Verzeihung heischend und voller Bedauern. Es hatte sie geschmerzt, als sie erlebte, mit welcher Dankbarkeit ihr beschtanagisches
Volk die Eroberung durch Haomanes Verbündete begrüßte, die Bereitwilligkeit, mit der sich die Leute ergaben und hofften, im Gegenzug eine Handvoll Korn oder eine Schüssel Hammelfleisch zu erhalten. Blaise Caveros, Aracus Altorus’ Oberster Ritter, hatte die Lage im Griff. Trotz der Verletzung, die er sich auf dem Schlachtfeld zugezogen hatte, war er gelassen und tüchtig, kümmerte sich um die Unterbringung der Truppen und beorderte Versorgungszüge in die Festung.
Nur ihr Wachhauptmann und seine Befehlshaber wurden in Haft genommen, die übrigen Wachleute hatten Ausgangssperre und wurden von den Soldaten des Regenten Martinek bewacht. Die Bediensteten ihres Haushalts gingen straffrei aus, wenn sie dem Regenten Südost-Pelmars die Treue schworen. Einige hatten darüber geweint, aber was bedeutete das schon? Es waren nur wenige. Die meisten halfen mit, die Festung zu durchsuchen, sie vom Dach bis in die Keller zu durchkämmen, falls die Hohe Frau Cerelinde doch noch irgendwo hier versteckt war. Haomanes Verbündete waren gründlich.
All das hatte Lilias erwartet. Die große Gefühllosigkeit, die sie umfing, die Leere in ihrem Herzen, die Calandors Tod und der Verlust des Soumanië hinterlassen hatten, isolierten sie. Und wenn sie ehrlich war, konnte sie ihrem Volk nichts vorwerfen. Sie hatte gelogen und einen großen Fehler gemacht. Sie hatte beim Schutz ihrer Leute versagt. Hätte man sie sich selbst überlassen, dann hätte sie sich in ihre Gemächer zurückgezogen, sich von der Welt abgewandt und alle Nahrung verweigert, um ihr nun wieder sterbliches Fleisch schwinden zu lassen, bis Oronins Horn endlich auch ihren Geist zu sich rief. Was war ihr sonst noch geblieben? Auf der anderen Seite des Todes mochte vielleicht Calandors Geist auf sie warten.
Aber Aracus Altorus überließ sie nicht sich selbst.
Er wusste nicht, wie man den Soumanië verwendete, und niemand sonst konnte es ihm sagen. Selbst die Ellylon schüttelten die Köpfe und meinten, dass wohl höchstens Ingolin der Weise dergleichen wisse. Dieser Umstand versetzte Lilias in grimmige Erheiterung. Sie waren Narren, dass sie dachten, so schnell Besitz vom Soumanië ergreifen
zu können. Und anstatt ihr daher die Einsamkeit zu gönnen und zuzulassen, dass sie das Gesicht zur Wand drehte, wich Aracus nicht von ihrer Seite, und Lilias schwieg. Er versuchte, sie mit vernünftigen Worten zu gewinnen, er bedrohte sie, er schikanierte sie, er bot ihr Handel an, die sie ablehnte. Zur Folter wollte er sich nicht herablassen – das zumindest musste man Haomanes Verbündeten lassen –, aber er ließ sie auch nicht aus den Augen. Er zerrte sie in die Höhle des Marasoumië unter dem Beschtanag, wo er einen schlecht beratenen Versuch unternahm, Malthus den Gesandten mithilfe des Juwels herbeizurufen.
Selbst wenn er sein Geheimnis gekannt hätte, an jenem Tag hätte er versagt.
Lilias hatte gelacht, bis sie beinahe überschnappte, als die Grundfesten der Erde erbebten und der Knoten des Marasoumië stumpf und unbeweglich wurde, ein toter Block Granit. Die gebündelten Fibern aus Licht, die durch die Bahnen flimmerten, erloschen und ließen leere Tunnel zurück, die durch soliden
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