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Elegie - Herr der Dunkelheit

Elegie - Herr der Dunkelheit

Titel: Elegie - Herr der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
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eintauchen und abstoßen. Die heiße, feuchte Luft im Delta tat seinen schmerzenden, verwachsenen Knochen wohl. Seine Gelenke fühlten sich endlich einmal wie geölt und locker an. Eine solche Leichtigkeit hatte er nicht mehr empfunden, seit er ein Kind gewesen war; tatsächlich hatte er bereits vergessen, dass es dieses Gefühl überhaupt gab. Jenseits der Grenzen Arduans hatte er sofort den verhüllenden Mantel mit der juckenden Kapuze abgestreift. Es war gut, ohne Kopfbedeckung unter freiem Himmel zu sein. Normalerweise bekam er vom Sonnenlicht Kopfschmerzen, aber das dichte Laub über ihm filterte die Helligkeit zu einem grünen Dämmern, das mild seine Augen erreichte. Das schreckliche Erwachen auf der Ebene von Rukhar erschien hier weit weg.
    »Krock!« Auf dem höchsten Ast einer etwas entfernt stehenden Mangrove landete ein Rabe und schwankte hin und her, da sich seine Klauen um einen zu dünnen Zweig geschlossen hatten. Er hing einen Augenblick daran, dann erhob er sich mit flatterndem Gefieder, um ein paar Schritte weiter südlich einen neuen Landeplatz zu finden. »Krock!«
    »Ich sehe dich, kleiner Bruder«, rief Uschahin dem Raben zu. Es war einer jener, die ihn durch die Sümpfe führten. Uschahin gab dem Boot mit dem Staken einen kräftigen Stoß, und der Kahn drehte nach Süden. »Ich komme.«
    Zufrieden pickte der Rabe an etwas herum, das Uschahin nicht sehen konnte.

    Allzu leicht hätte man im Delta den Weg verlieren können. Aber wäre das ein so übles Schicksal gewesen? Uschahin hielt inne, um einen Schluck aus dem Wasserschlauch zu nehmen, und dachte darüber nach. Es war etwas … Angenehmes … an diesen Sümpfen. Er fühlte sich hier wohl. Das lag nicht nur daran, dass die feuchte Luft seinen Knochen gut tat. Hier war noch etwas anderes am Werk, etwas Tiefgreifenderes . In seinen Adern schlug ein Puls, der sich seit … ja, seit wann denn eigentlich nicht mehr gerührt hatte?
    Noch nie vielleicht. Sein Blut war schließlich zur Hälfte ellylisch. Haomanes Kinder kannten die Fleischeslust nicht, nicht so, wie sie den anderen unter den Geringeren Schöpfern vertraut war. Der Gedankenfürst hatte die Ellylon geschaffen, und der Gedankenfürst hatte Satoris’ Gabe abgelehnt, die den anderen Kindern der Schöpfer zuteilgeworden war.
    Die andere Hälfte jedoch … ah.
    Arahila die Zweitgeborene, Arahila die Schöne. Sie hatte die Gabe des Fürsten für ihre Kinder angenommen, ebenso wie die Gabe Haomanes, die er allen anderen vorenthalten und nur den Kindern seiner geliebten Schwester verliehen hatte. Und so waren die Menschen mit der Fähigkeit des Denkens gesegnet und mit der aufwallenden Lust.
    Uschahin hatte sich dem sterblichen Erbe seines Vaters nie hingegeben, das mit der Gabe des Fürsten Satoris behaftet war. Hier im Delta war es plötzlich anders. Die Lieder, die er leise vor sich hinsummte, waren Wiegenlieder, die ihm vor langer, langer Zeit seine Mutter vorgesungen hatte, bevor sein Körper zerschlagen, gebrochen und versehrt worden war.
    »Nun, Haomane!« Uschahin wandte sich mit seinen Worten an eine Wolke kleiner Mücken, die vor ihm in der Luft schwebte und als Platzhalter für den Erstgeborenen unter den Schöpfern herhalten musste. »Du hast Angst, was? Was ist denn los? War die Gabe von Fürst Satoris mächtiger, als du dir vorgestellt hattest?« Er stakte schwungvoll voran, summte und sah den Mücken bei ihrem Tanz zu. »Mir scheint, es war so, Gedankenfürst. Zumindest hier an diesem Ort.«

    »Krock, krock!«
    Raben stiegen von den Spitzen der Mangrovenbäume auf; einer, zwei, ein halbes Dutzend. Sie kreisten in der schweren Luft über der Mitte des Sumpfes, und das Sonnenlicht schimmerte violett auf ihren Flügeln. Uschahin hielt inne, stützte sich auf den Staken und sah auf. Bilder von einem Hügel, riesenhaft und moosbewachsen, zuckten durch seinen Kopf.
    »Was ist das?«, grübelte er laut. »Was wollt ihr mir zeigen? Schon gut, schon gut, kleine Brüder! Ich komme sofort.«
    Er stieß sich hart mit dem Staken ab, dessen Spitze er tief in den Schlick unter der Wasserstraße trieb. Der Kahn fügte sich und glitt über stille Wasser, die von der Nachmittagssonne rötlich gefärbt wurden. Inmitten einer Wasserlichtung stand ein einzelner Palodusbaum, hoch und einsam. Im Schatten seines breiten Blätterdaches erhob sich der moosige Hügel, den er gesehen hatte. Aus einem Grund, den er nicht benennen konnte, wurde Uschahins Mund trocken, und sein Puls schlug in seinen

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