Elegie - Herr der Dunkelheit
bescheiden. »Ich weiß es nicht.«
Rauch stieg von den Nüstern der Drachin auf, als Calanthrag die Älteste, Mutter der Drachen, lachte. »Dann binde dein Boot fessst«, sagte sie, »und ich werde es dir erzählen.«
Die Borke des Palodusbaums war silbergrau, zart wie Haut. Uschahin stakte den Kahn unter sein breites Blätterdach. Am Bug war ein Seil an einem Eisenring befestigt. Er legte den Staken hin und kniete sich auf die Vorderducht, um das Seil um den Stamm des Baumes zu schlingen und das Boot festzubinden. Schlickkrebse huschten über die ausufernden Wurzeln des Palodus, und Wasserflöhe hüpften auf der Wasseroberfläche hin und her. Die untergehende Sonne tauchte den Sumpf in goldenes Licht und verlieh dem trüben Wasser ein feuriges Leuchten. Einige Schritte entfernt stieß das verkohlte Skelett eines Mangrovenbaums Ascheflocken ab; er brannte schon lange nicht mehr. Wie viele Stunden hatte er verloren, als er durch die Gedanken der Drachin gefallen war?
Es spielte keine Rolle.
Über ihnen begannen die ersten blassen Sterne zu funkeln, und die Raben von Finsterflucht plusterten das Gefieder auf, hockten sich auf ihre Schlafplätze und krächzten sich schläfrige Rufe zu. Alles war still im Delta, und in seinem Herzen hingen zwei gelbgrüne Augen wie Laternen in der Dämmerung, die den riesenhaften Körper dahinter nur vermuten ließen. Uschahin zog ein letztes Mal an dem von Spritzwasser durchnässten Seil und lächelte. »Mutter der Drachen.« Er verbeugte sich vor ihr, dann setzte er sich und fühlte, wie der Kahn unter seinem Gewicht hin und her schaukelte. »Ich höre.«
»Am Anfang«, sagte Calanthrag die Älteste, »war Urulat …«
»Zieht!«, brüllte Speros.
Die Gulnagel schnauften und zerrten an den Seilen, heldenhafte Gestalten im roten Licht der untergehenden Sonne, die breiten Rücken und Schultern angespannt; die Muskeln ihrer kräftigen Beine zitterten. Der Felsbrocken, den sie mit so viel Anstrengung zogen, bewegte sich ein paar Schritte auf dem improvisierten Schlitten, der
aus einem eingebeulten Fjelschild und dem Seil gebastelt worden war, das man im Brunnen gefunden hatte. Es hatte ohne Winde lang und gerade nach unten gehangen, konnte aber nicht heraufgezogen werden. Speros hatte einen der Fjel hinunterklettern lassen, um so viel wie irgend möglich davon zu bergen.
»Zieht!«, rief Speros und verfiel in einen Singsang. »Zieht, zieht, zieht !«
Stöhnend und keuchend taten sie, wie ihnen geheißen. Der Fels bewegte sich Zoll um Zoll und knirschte über den festgestampften Sand. Speros gesellte sich schließlich zu den Fjel und half mit, den Brocken mit den Händen zum Brunnenrand zu rollen. Es war nicht leicht. Die Monolithen des Steinernen Hains waren geborsten, als sie umgestoßen worden waren, aber selbst die Bruchstücke waren riesenhaft. An der Öffnung des Brunnens stand Speros nun Seite an Seite mit den Gulnagel und zog.
»In Ordnung, Jungs«, schnaufte er und löste das Seil mit schmutzigen Fingern. »Und jetzt schieben.«
Der Fels stürzte mit befriedigendem Krachen in die Öffnung und fiel nur wenige Schritte tief. Ihre langen Mühen zeitigten endlich Ergebnisse: Der Schacht des Brunnens war nun gründlich gefüllt. Speros warf sich auf den langsam abkühlenden Sand und ließ seine schmerzenden Muskeln ein wenig ausruhen.
»Noch mehr, Anführer?« Einer der Gulnagel ragte über ihm auf.
»Noch ein paar, ja.« Unter Schwierigkeiten erhob sich Speros und rollte das Seil auf. Es war aus Ranken gedreht, aber unglaublich haltbar. Die armen alten Yarru hatten es gut gefertigt. »Einen noch«, korrigierte er sich und deutete auf einen Felsblock in der Nähe. »Holt den Schlitten.«
Sie waren ausdauernde Geschöpfe und taten, was er sagte. Er half ihnen, den nächsten Stein auf den Schild zu rollen, schlang das Seil darum und befestigte das Felsstück an den Griffen des runden Metalls. »Noch einmal, Jungs«, sagte er aufmunternd und half den Gulnagel ins Geschirr. »Und immer dran denken: Mit den Beinen drücken!«
Einer grinste ihn an, senkte die Schultern und machte sich bereit.
Er hieß Freg; Speros erkannte ihn an den abgebrochenen Augenzähnen, die in der Sonne rötlich glänzten. Auf seinen Schultern hatte das scheuernde Seil Spuren hinterlassen und das raue Fell so glatt gerieben wie poliertes Leder. »Ihr treibt eure Mannschaft aber ganz schön an, Anführer.«
»Ja, Freg.« Speros legte dem Fjel eine Hand auf den Arm und fühlte sich beschämt von
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