Elegie - Herr der Dunkelheit
dessen Kraft und Ausdauer. Seit der Marasoumië sie ausgespien hatte, hatten sie sich noch nicht einmal beklagt. »Und ihr seid die richtige Mannschaft dafür. Zieht, Jungs, zieht !«
Keuchend vor Anstrengung gehorchten sie ihm ein weiteres Mal. Breite Füße spreizten ihre Krallen und suchten im aufgewühlten Sand nach Halt. Gelbe Nägel gruben eine Furche nach der anderen, starke Beine zogen den Fels voran, als die Fjel sich in das Geschirr legten. Ruckend setzte sich der Schild in Bewegung, und das Eisen schrammte kreischend über den Wüstenboden.
Wie oft hatten sie das inzwischen getan? Speros hatte aufgehört zu zählen. Am ersten Tag war ihm die Aufgabe unlösbar erschienen. Die großen Steinblöcke verschwanden wie Kiesel im Brunnen der Welt. Zu Anfang waren sie eine unglaubliche Entfernung hinuntergestürzt und unten, in der Höhle des toten Marasoumië, zerschmettert. Er war sich nicht sicher gewesen, ob man den Brunnen überhaupt zuschütten konnte. Er hatte bei dieser Aufgabe seine ganze Schläue einsetzen müssen: Zunächst hatte er den Schlitten konstruiert, dann die ganze Kraft der Fjel ausgenutzt und als Erstes die größten Brocken hinuntergeworfen.
Aber trotzdem war er selbst nicht überzeugt gewesen.
Und dennoch … dennoch. Allmählich war es vorangegangen.
Der letzte Felsblock krachte mit einem Donnerschlag in die Öffnung. Speros richtete sich auf und stemmte sich die Hände in den Rücken. Sein Kreuz schmerzte, seine Nägel waren blutig und abgebrochen. »Gute Arbeit, Jungs«, keuchte er. »Füllt den Rest mit kleinen Steinen und Sand auf, bis es ganz natürlich aussieht. Das sollte reichen.«
Die Gulnagel umringten die Öffnung des früheren Brunnens,
wandten ihr den Rücken zu und bückten sich. Sand und Kiesel spritzten nur so, als sie nach Manier der Hunde buddelten und zwischen ihren Hinterbeinen, die fest auf dem Boden standen, eine Schuttwolke aufwirbelten. Die Öffnung des Brunnenschachts, zuletzt noch einige Schritt tief, maß nun nur noch ein paar Zoll.
»Gute Arbeit, Jungs«, wiederholte Speros, der die wachsende Sandschicht beobachtete und versuchte, auf den Beinen zu bleiben. »Vergesst nicht, es soll ganz natürlich aussehen.«
Einer von ihnen schnaufte, vielleicht war es Freg. Von hinten waren sie schwer zu erkennen. Speros klopfte dem Fjel, der ihm am nächsten stand, auf den Hintern und ging dann mit schwankenden Schritten die Senke hinab. Die Erde war aufgewühlt und aufgebrochen. Trotz seiner Erschöpfung musste er auf seine Schritte Acht geben, damit er sich nicht die Knöchel verrenkte. Überall auf dem Wüstenboden ragten die abgebrochenen Stümpfe der Monolithen auf, ungeschliffen und anklagend.
Heerführer Tanaros saß auf einem der großen Steine, schärfte sein Schwert und blickte nach Westen.
Speros winkte ihm zu. »Heerführer!« Er zwang sich zu einem müden Salut. »Der Brunnen ist zugeschüttet.«
»Danke, Speros.« Der Heerführer sprach mit tiefer Stimme und klang geistesabwesend. »Sieh dir das einmal an.« Er deutete mit der Schwertspitze nach Westen, wo ein roter Stern am Horizont schimmerte. »Dergails Soumanië geht noch immer auf. Was, meinst du, könnte das bedeuten?«
»Krieg.« Speros’ zitternde Beine gaben nach und er setzte sich unvermittelt. »Sagt man das nicht? In den Mittlanden jedenfalls.« Er rieb sich mit den Handrücken die Augen und versuchte, die Erschöpfung wegzuwischen. »Der rote Stern, die Erinnerung an Dergails Niederlage. Es ist die Herausforderung des Weltenspalters, eine Kriegserklärung.«
»Sagt man das so?«, grübelte der Heerführer. »Und dennoch war es nicht Fürst Satoris, der den Stern aufgehen ließ. Er hielt ihn für eine Warnung. Für eine freundliche Geste seiner Schwester.«
»Macht das einen Unterschied?« Speros fummelte an dem Wasserschlauch
herum, den er an der Hüfte trug, und schaffte es, den Stopfen herauszuziehen. Das Wasser schwappte in dem halb leeren Behälter, als er ihn an die Lippen setzte und einen vorsichtigen Schluck nahm.
»Manchmal sorge ich mich.« Heerführer Tanaros zog den Wetzstein an der Schneide des Schwertes entlang. »Ich fürchte, wir haben unser Schlachtfeld nicht gut gewählt, Speros.«
Speros sah zu ihm auf. »Beschtanag, Herr? Oder Finsterflucht?«
»Nein.« Der Heerführer schüttelte den Kopf. »Keins von beiden. Ich meine die Köpfe und Herzen der Menschen, Speros.« Er untersuchte die Schneide seines ebenholzfarbenen Schwertes und prüfte sie mit dem Daumen.
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