Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elegie - Herr der Dunkelheit

Elegie - Herr der Dunkelheit

Titel: Elegie - Herr der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Carey
Vom Netzwerk:
seiner Kameraden, wie sie sich gemütlich einrichteten, nachdem sie die einengenden Rüstungen abgelegt hatten, und grummelnd und brummend Rücken und Schultern gegen den Fels rieben. Ihn beruhigten die Spuren der zahllosen Stammesgenossen, die bereits das Gleiche getan und dabei einen schwachen Hauch ihres Geruchs zurückgelassen hatten. Es fühlte sich gut an, die juckende Haut am Felsen zu scheuern.
    Osrics Männer machten es sich im südlichen Bereich bequem, wie es Tradition war.
    Auch sie rieben sich am Stein, nur anders. Sie hinterließen Zeichen, die sie mit Scherben in die Höhlenwände ritzten. Menschen zündeten Feuer an, hockten sich unter den Belüftungsschächten zusammen, teilten ihre Ängste und ihre Träume, jammerten über die Anstrengungen der Fahrt. Rötliche Flammen tanzten über die Wände und hoben die Markierungen deutlich hervor. Gekritzelte Linien, schmal und verwirrend. Manchmal formten sie Buchstaben, manchmal Gestalten.
    Skragdal betrachtete sie blinzelnd.
    »Du kannst nicht lesen, oder?«
    Er sah zu dem stakkianischen Befehlshaber hinunter. »Ich bin ein Fjel«, sagte er schlicht. »Uns wurde Haomanes Gabe nicht zuteil.«
    Osric runzelte die Stirn. »Hast du es denn schon einmal versucht?«
    »Nein, Hauptmann.« Er erzählte die Geschichte nicht. Kein Fjel erzählte sie, nicht den Menschen und auch sonst niemandem. Nur den Jungfjel. Vor langer Zeit hatten sie lernen wollen. Neheris’ Kinder hatten das so sehr gewollt, dass sie sich an den verwundeten Schöpfer wandten, der in ihr Land geflohen war. Und in den vielen Jahren, während er sich von Haomanes Zorn erholte, versuchte Fürst Satoris, Skragdals Volk zu unterrichten. Am Ende kam nichts dabei heraus. Die Bedeutung gekritzelter Linien – ob auf Stein oder auf Pergament – war für die Fjel nicht zu erfassen. Wie konnte eine Handvoll Symbole, die an sich keinerlei Bedeutung besaßen, all die
Abertausend Dinge in der ganzen Welt darstellen? Welche Verbindung bestand zu den wirklichen Dingen? Es war ein sinnloses Unterfangen.
    Osric betrachtete die Kritzeleien. »Na ja, dir entgeht auch nicht viel. Die meisten davon sind Zeichen dummer Jungen, die hier ihre Namen eingeritzt haben, um den später Nachfolgenden zu zeigen, dass sie hier waren. Ansonsten gibt es noch ein paar leere Angebereien. Du hast die Kaldjager heute Nacht wieder als Wachposten ausgesandt?«
    »Ja, Hauptmann.«
    »Guter Mann. Gönne dir ein bisschen Schlaf.«
    Er versuchte es. Andere schliefen, brummten und schnarchten, und die solide Gegenwart der Felswände gab ihnen Sicherheit. Es beunruhigte sie nicht, dass sie einmal mit angesehen hatten, wie sich Stein im roten Licht der Macht eines Soumanië in einen sie verschlingenden Feind verwandelte. Auch ihm hätte es nichts ausmachen sollen.
    Die Fjel besaßen die Gabe, für den Augenblick zu leben. Nur wichtige Dinge trugen sie im Herzen, nur heilige Erinnerungen wurden von einer Generation zur nächsten weitergegeben. All das, was der Erinnerung nicht wert war – Angst, Neid, Hass – wurde von den Flüssen der Zeit weggewaschen und vergessen.
    Trauert nicht um die Gabe, die Haomane euch vorenthielt. Hat Neheris von den fallenden Wassern ihre Kinder nicht gut erschaffen? Dies verkünde ich euch, denn ich weiß es: Eines Tages werden die Menschen eure Gaben begehren. Haltet sie in Ehren und freuet euch.
    Fürst Satoris’ Worte.
    Es waren jene Worte, die den Fjel ihren Stolz und das Vertrauen zurückgegeben hatten und die sie an ihre Nachkommen weitergaben. Es waren jene Worte, die sie dazu gebracht hatten, den alten Eid zu schwören. Skragdal hatte sie als Jungfjel gehört. Er hatte sie mit Stolz im Herzen getragen, aber er hatte sie nie so verstanden, wie er sie jetzt verstand, da er schlaflos auf dem Boden lag. Konnten solche Gaben verloren gehen? Konnte sich die Natur der Fjel verändern, wenn sie lange genug der Art der Menschen ausgesetzt war
und durch sie verdorben wurde? War es die Last der Befehlsgewalt, die ihn niederdrückte, dass seine Gedanken so von Furcht erfüllt wurden? Würde er, wenn er es könnte, seinen Namen in die Wand ritzen?
    Nein, dachte er. Nein.
    Skragdal griff in eine Tasche, die an seinem Gürtel hing, und zog einen halb geschnitzten Klumpen grünen Chalcedons heraus, den er im schwachen Licht der Höhle untersuchte. Der Stein hatte noch kleine Mängel, aber die geschwungene Form des Rhios zeichnete sich bereits ab, eine Quellnymphe, so schmiegsam wie die Fluten, die um eine

Weitere Kostenlose Bücher