Elegie - Herr der Dunkelheit
blauweißen Flammen zu sehen und ein Brüllen wie von einem weit entfernten Waldbrand oder von einem Drachen zu hören. Vorax erschauerte und trat vom Abgrund auf sicheren Boden zurück. Dies war nicht das Werk von Irrlingen. Er fragte sich, welche Schwäche im Fundament von Finsterflucht dafür verantwortlich war, dass sich dieser Abgrund geöffnet hatte, so nahe an der Quelle, wie ein Mensch nur an sie herankommen konnte, und ein ganzes Stück näher, als es einem Stakkianer gut tat. Er hatte genug infernalische Hitze ertragen, dass es ihm für ein unsterbliches Leben reichte. In Stakkia war es kühl .
Gelegentlich vermisste er das.
Wenn diese Bedrohung vorüber war, dann wäre es vielleicht an der Zeit, darüber nachzudenken, seinen Platz frei zu machen. Sich auf ein hübsches Gut zurückzuziehen, wo die Sonne am blauen Himmel auf eine weiße, winterliche Landschaft schien und der Wolf den Hasen durch frisch gefallenen Schnee verfolgte. Er konnte auch von Stakkia aus seine Pflichten versehen, die Grafen und Barone zur Treue anhalten, dafür sorgen, dass Finsterflucht genug Vorräte und Männer zur Verfügung standen, und seine Tage in herrlicher Gemütlichkeit beschließen, von den Zwängen seines vom Schwur gebrandmarkten Fleisches befreit und einem angenehmen Tod entgegensehend, während er seinen Kopf in den Schoß stakkianischer Jungfrauen bettete. Es wäre keine schlechte Idee, in Stakkia wieder mehr Präsenz zu zeigen. Es war schon viel zu lange her, seit er sich dort hatte sehen lassen.
Der Weg führte nach einer Biegung aufwärts. Während er sich die Steigung hinaufquälte, überlegte er, ob der Fürst sich jemals auf so etwas einlassen würde. Er vermutete, eher nicht. Letzten Endes hingen der Frieden und der Wohlstand Stakkias von dem Handel ab, den Vorax vor so vielen Jahren mit Satoris geschlossen hatte. Damals hatte er sich nicht vorstellen können, dass ihm die Unsterblichkeit eines Tages wie eine Last erscheinen würde.
Aber nun denn. Es war immerhin ein hübscher Gedanke.
Vor ihm waren Stimmen zu hören; es klang wie eine Auseinandersetzung unter Irrlingen, aber etwas anderes schwang darin mit, eine einzelne Stimme, wie ein silberner Faden. Der Anstieg war endlich bewältigt, und der Weg verlief nun wieder eben. Mit gerunzelter Stirn beschleunigte Vorax seinen Schritt. Vor ihm war Licht zu sehen, kein Feuermark, sondern Kerzenschein; das konnte er durch einen sich verjüngenden Durchgang erkennen. Er bewegte sich nun vorsichtig voran und schob sich mit der Schulter zuerst durch die Lücke. Seine Rüstung schabte an den Felsen entlang und wurde dabei zerkratzt und zerbeult.
Dann verbreiterte sich der Durchgang unerwartet wieder.
Vorax stolperte ins Leere und konnte sich gerade noch auffangen. Es war eine roh behauene Kammer, ein natürlich entstandener
Raum, der von Hunderten von Generationen, die sich an den Steinmauern zu schaffen gemacht hatten, vergrößert worden war. Überall brannten Kerzenstummel, in jeder Nische und auf jedem Vorsprung. Zusammengesuchte Teppichstücke bedeckten den Boden, und die Wände waren mit eingeritzten Nachrichten bedeckt, von denen einige lesbar, die meisten aber nur Wortfetzen waren. Es hatte sich wohl ein Dutzend Irrlinge versammelt, und das Licht spiegelte sich in ihren Augen. Sie alle flüsterten, murmelten und zischten.
Einer kniete vor der Gestalt, die inmitten der Kammer stand, schmutzige Finger zupften am Saum ihres blauen Gewands, während der Irrling ein hoffnungsvolles Gesicht zu ihr emporwandte. »Mich?«, fragte er. »Hohe Frau sieht mich?«
Die Hohe Frau Cerelinde neigte den Kopf und nahm das Gesicht des Jungen in beide Hände. »Ludo«, sagte sie sanft mit silbriger Stimme. »Du warst der Sohn eines Wagners. Ich sehe dich. Ich sehe, was aus dir hätte werden können. Ich sehe dich mit einer rundlichen Frau, lächelnd, und lachenden Kindern, die im Hof deines Vaters Fangen spielen.«
»Hohe Frau!« Die Worte brachen aus ihm heraus; sein Gesicht leuchtete und war tränenverschmiert, während er sich hin und her wiegte und immer noch den Saum ihres Kleides knetete. »Hohe Frau, Hohe Frau, ja!«
Cerelinde entließ ihn mit einem sanften Lächeln, hob den Kopf – und erstarrte.
Die Irrlinge heulten wie aus einem Mund auf.
»Hohe Frau.« Vorax machte einen weiteren Schritt in die Kammer, und sein Schwert fuhr aus der Scheide. Er begegnete ihrem seltsam furchtlosen Blick, und das Blut schien in seinen Adern zu rauschen, während ein hoher Ton
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