Elegie - Herr der Dunkelheit
Hohe Frau der Ellylon stand unbeweglich da. »Heerführer Tanaros ist auf dem Weg?«
»Ja.«
Eine Veränderung ging in ihr vor, eine ganz kleine. Sie bewegte
sich nicht, nicht einmal ihre Augenlider zuckten. Dennoch breitete sich unter ihrer Haut eine sanfte Röte aus, die ihre Wangen färbte. Etwas krampfte sich in Vorax’ Bauch zusammen, und er trat auf sie zu, sodass er sie mit seinem massigen Körper überschattete.
»Hohe Frau«, sagte er leise. »Lasst ihn in Ruhe.«
Ihr Kinn hob sich ein kleines Stück. »Ihr wart derjenige, der mir die Gastfreundschaft von Fürst Satoris anbot, Fürst Gierschlund. Wollt Ihr nun diese Gastfreundschaft verletzen und eidbrüchig werden?«
»Ich hätte Euch bereits in dem Moment erschlagen, als Beschtanag fiel.« Er sah, wie Angst in ihren leuchtenden Blick kroch, und gönnte ihr ein grimmiges Lächeln. »Irrt Euch nur nicht, Hohe Frau. Mich treibt weder Hass noch Irrsinn, und ich weiß, wo die Grenze des Profits verläuft. Wenn der Fürst auf mich gehört hätte, wärt Ihr schon lange tot.« Er zog noch einmal sein Schwert ein paar Zoll aus der Scheide und setzte hinzu: »Vielleicht tue ich es auch noch.«
»Das würdet Ihr nicht wagen!« Ihre Augen erglühten in schrecklicher Schönheit. »Aracus …«
»Aracus!«, lachte Vorax und schob den Griff wieder zurück. »Oh, Hohe Frau, was auch immer geschieht, wir können es ein paar Zeitalter hinter den Mauern von Finsterflucht aushalten, bevor der Sohn des Altorus uns Schwierigkeiten bereiten kann. Nein, wenn Ihr Euch an einen Beschützer wenden wollt, dann würde ich vorschlagen, vertraut lieber auf den Fürsten. Und vergesst nicht, wenn ich merke, dass Ihr Tanaros mit ellylischen Zaubern und Sprüchen einwickelt, dann werde ich euch töten.«
Die Hohe Frau Cerelinde antwortete nicht.
»Gut.« Vorax nickte. »Bring sie hier raus, Meara, und hole sie nicht wieder hierher. Und ich werde dem Traumspinner davon erzählen.«
Er sah ihnen nach, wie die Irrlingsfrau voranging und am Ärmel des Ellylgewands zupfte. Der Anblick trug nicht dazu bei, den Knoten in seinem Magen zu lösen. Es war die Vorsehung gewesen, die ihn heute die linke Tür hatte wählen lassen und ihn auf ungeahnte Gefahren aufmerksam gemacht hatte. Gleich am nächsten Tag würde er eine Patrouille seiner eigenen Leute durch die Gänge hinter den Mauern schicken und die geheimen Verbindungswege der Irrlinge
zumauern lassen, jedenfalls, soweit sie zu finden waren. Etwas stimmte nicht mit dem Gebäude Finsterflucht, unter dessen Fundament sich ein solcher Abgrund aufgetan hatte. Er erinnerte sich an den Mondgarten im Halblicht, an eine leuchtende Gestalt unter den Sternen, an den schweren Duft der Vulnusblüten, der sich mit dem Schwefel in der Luft verband und schmerzvolle Erinnerungen weckte.
Fürst Vorax, was seht Ihr?
Vorax schüttelte den Kopf und blies die Kerzenstumpen aus. Im Schimmer des Feuermarks eilte er weiter, ließ die Kammer hinter sich und suchte sich den Weg im verwirrenden Labyrinth der engen Gänge, bis er einen Ausgang erreichte. Es war eine geschützte Tür, die sich unter seiner Berührung öffnete und in einen der Hauptkorridore Finsterfluchts führte. Ein Fjel der Finsterfluchter Wacht nahm Haltung an, als er erschien; es war ein Mørkhar, der sich die Axt in eine Hand warf, mit der anderen den Schild hob und die dunklen Borsten aufstellte. »Fürst Vorax!«
»Steh bequem«, seufzte der Stakkianer.
Der Mørkhar sah starr geradeaus. Vorax beachtete ihn nicht weiter und machte sich humpelnd auf den Weg durch die hohen Flure zu seinen Gemächern. Er fühlte sich wunderbar erleichtert, als er die hohen Hartholztüren erreichte, in die zweifach das Abbild eines grollenden stakkianischen Bären geschnitzt war; vor ihnen standen zwei seiner stakkianischen Wächter. Der Angstschweiß war unter seiner Rüstung zu dünnem Reif getrocknet, und jetzt war er nur noch müde. Hinter diesen Türen lagen Annehmlichkeiten und Entspannung. Sein Magen knurrte bei diesem Gedanken.
»Lass mich herein, Eadric.«
»Jawohl, Herr!« Der oberste Wächter grinste und suchte an seinem Gürtel nach dem Schlüssel. »Genießt Eure Ruhe, Herr!«
Die hohen Hartholztüren schwangen auf, und Vorax betrat seine Gemächer. Hier drinnen war es wie in einer anderen Welt, üppig und luxuriös und ganz anders als alles Übrige in Finsterflucht mit seinen strengen, hohen Fluren, der Furcht einflößenden Hitze der Brunnenkammer oder den raschelnden Heimlichkeiten
Weitere Kostenlose Bücher