Elegie - Herr der Dunkelheit
er ging.
Tanaros Schwarzschwert sah ausdruckslos zu.
»Missbilligt Ihr, was Ihr seht?« Lilias hob eine Augenbraue.
Er stieß ein humorloses Lachen aus und schob das dunkle Haar zurück. »Missbilligen? Ich missbillige es weder, noch billige ich es. Es ist die Angewohnheit der Menschen und ihrer Töchter, alles Wilde zähmen zu wollen.«
Lilias zuckte die Achseln. »Ich forme nur jene, in deren Natur es liegt zu dienen – in meiner lag es nicht. Einige sind williger als andere. Ich versuche sie weise auszuwählen. Pietre ist sehr stolz auf seine Arbeit.«
»Und Euer Heer?« Er beugte sich vor, die Hände auf die Knie gestützt, und die Beinschützer knirschten.
»Ihr habt meinen Wachhauptmann gesehen, Königsmörder.«
Lilias fasste ihn scharf ins Auge. »Gergon hat seine Aufgabe auf den Knien seines Vaters gelernt, wie schon sein Vater vor ihm. Auch wenn Dergails Soumanië im Westen aufgegangen ist, Beschtanag ist sicher. Ihr habt dafür gesorgt, dass es um Finsterflucht ähnlich bestellt ist, lange bevor sein Großvater seinen ersten Atemzug machte. Bezweifelt Ihr, dass er stolz ist auf sein Werk?«
»Nein.« Er atmete aus und stellte sich ihrem Blick. »Wie lange schon, Hohe Frau?«
Welch eine Frage! Sie wusste, was er meinte, und ungewollt brannten Tränen in ihren Augen. »Über tausend Jahre. Und bei Euch?«
»Zwölfhundert.« Er neigte den Kopf und berührte einen unsichtbaren Talisman in seiner Tasche. Sein dunkles Haar fiel wie ein Schleier über seine Züge. Es war schlecht geschnitten, aber ohne eine einzige graue Strähne. »Über zwölfhundert.«
Sie beide schwiegen.
Die Tür öffnete sich, und Pietre kehrte zurück, begleitet von Sarika, einen Krug mit Wasser in der einen und Wein in der anderen Hand. Sie servierten die Erfrischungen mit betont mürrischer Anmut. Sarika kniete sich zu Lilias’ Füßen, und die graublauen Augen baten stumm um Anerkennung. Lilias strich ihr über die Wange und fand ihre Stimme wieder.
»Ich danke dir, Kind.«
Sarika war glücklich, Pietre warf dem Soldaten einen triumphierenden Blick zu, und der antwortete mit einem höflichen Nicken, wobei er die nackte Brust des Bediensteten geflissentlich übersah, wie sie im Lampenschein glänzte, eingeölt und straff unter seinem Dienerhalsband. Lilias schenkte den Wein selbst ein und wartete, bis Tanaros Brot und Käse zu sich genommen hatte.
»Nun«, fragte sie ihn dann, »was wünscht Euer Herr Satoris von mir?«
Er schluckte den Bissen hinunter und sagte es ihr.
Ich werde keine Angst haben.
Ich werde keine Angst haben.
Calandor!
Und er war da, bei ihr, wie er es seit tausend Jahren und noch länger stets gewesen war, eine beruhigende Gegenwart, die sich um die Mitte ihres Wesens ringelte. Lilias berührte den Soumanië auf ihrer Stirn und atmete wieder freier, dann wandte sie sich dem Soldaten zu. Wann war sie aufgestanden, um im Zimmer auf und ab zu gehen, wann hatte sie die Hände zu Fäusten geballt? Sie erinnerte sich nicht.
»Ihr werdet Krieg nach Beschtanag bringen.«
»Ja, Hohe Frau.« Bedauern lag in seiner Stimme. »Ein Krieg, um den Krieg zu verhindern.«
Bring ihn zu mir, Lilias. Ich möchte die Worte seines Herrn hören.
»Ihr versteht«, sagte Lilias, »dass ich diese Entscheidung nicht allein fällen kann.«
»Der Drache.« Angst lag in seiner Stimme, aber auch Erregung.
»Ja.« Lilias nickte. »Wir sind hier in Beschtanag eine Einheit.«
Tanaros stand auf und verbeugte sich. »Es wird mir eine Ehre sein. Ich bringe ihm Grüße von meinem Herrn Satoris.«
»Kommt«, sagte Lilias.
Draußen war die Luft dünn; die Nachmittagssonne ließ sie golden schimmern. Wieder führte sie ihn selbst, durch den Hinterausgang, den ihre Wächter schützten, aus der Burg und den Abhang hinauf, über den einsamen, gewundenen Pfad, den ihre eigenen Leute nicht zu gehen wagten. Der Berg von Beschtanag war ebenso hoch wie tief. Tanaros’ Atem ging schwer in der dünnen Luft. Die Zauberin hielt die Säume ihres Kleides hoch und sah während des Aufstiegs immer wieder hinter sich.
Verzückung lag auf seinem Gesicht, und er hielt bei jeder Gelegenheit inne, um die Sonne anzusehen, wie sie die Baumwipfel unter ihnen vergoldete. Auf ihren Blick hin lächelte er unerwartet sanft. »Vergebt mir, Hohe Frau. In Finsterflucht sehen wir die unverschleierte Sonne nie, und wenn, dann betrachten wir sie als unseren Feind.«
Natürlich.
Haomane der Erstgeborene hatte die Sonne geschaffen, aus dem Licht der Souma
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