Elegie - Herr der Dunkelheit
wechseln. Tanaros, der die Unterhaltung mit angehört hatte, wartete, bis sie um eine Kurve ritten, und lenkte dann an einer Stelle, die breit genug für zwei Pferde war, sein Ross neben sie. Seite an Seite ritten sie dahin, und Zaumzeug und Steigbügel klingelten leise. Die Pferde von Finsterflucht wechselten wachsame Blicke, blähten die Nüstern und schritten weiter aus. Die Hohe Frau Cerelinde saß aufrecht im Sattel und sah starr vor sich auf den Weg, ihr Profil wirkte wie aus einem Edelstein geschnitten.
»Ich verstehe es nicht«, sagte sie nach einiger Zeit steif.
»Cerelinde.« Tanaros ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen. »Jede Geschichte hat zwei Seiten. Eure kennt die ganze Welt, denn die Ellylon sind unvergleichliche Dichter und Sänger, und ihre Geschichte hat auf diese Weise überdauert. Wer in Urulat hat aber je der Geschichte gelauscht, so wie die Fjeltrolle sie erzählen?«
»Ihr gebt uns die Schuld.« Cerelinde sah ihn empört an. »Ihr gebt uns die Schuld! Seht sie doch an, Tanaros. Seht ihn an.« Sie deutete auf den Fjel Thorun, der in sturem Schweigen vor ihnen herschritt. Er hatte seit Bogvars Tod kaum ein Wort gesagt. Seine breiten, schwieligen Füße spreizten sich bei jedem Schritt, und die Krallen bohrten sich in den felsigen Weg. Das Gepäck, das er auf seinen Schultern trug und über das eine Streitaxt gezurrt war, hätte einen Ochsen zusammenbrechen lassen. »Seht doch nur.« Sie hob ihre zarten Hände, die Handflächen nach oben gekehrt. »Wie hätten wir so etwas besiegen können?«
Vor ihnen wandte sich der Weg nach links, und eine Felsnase schob sich in die Verderbte Schlucht. Thorun hielt an und ließ zuerst Cerelindes und dann Tanaros’ Pferd um die Kurve gehen. Obwohl er die Augen gesenkt hielt und die Hufe der Reittiere beobachtete, die für das bergige Gelände schlecht geeignet waren, lag seine Hand sanft auf dem Zügel.
»Er spricht die Gemeinsame Sprache, wisst Ihr«, sagte Tanaros.
Die Ellylfrau besaß genug Anstand zu erröten. »Ihr wisst, was ich meine!«
»Ja.« Tanaros berührte das Rhios in seinem kleinen Beutel. »Neheris von den fallenden Wassern erschuf die Fjel, Hohe Frau. Die Viertgeborene der Schöpfer formte sie so, dass sie zum Ort ihrer Geburt passten, mit Krallen, um die Berge zu erklimmen, und stark genug …«, er lächelte kühl, »… um Schafe auf ihren Schultern zu tragen, damit sie sich Vorräte für die strengen Winter anlegen konnten.«
»Stark genug«, gab sie zurück, »um Mauern in Schutt zu legen, Heerführer! Ihr habt Cuilos Tuillenrad gesehen! Wollt Ihr den Toten den schuldigen Respekt verweigern?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Aber es ist ihre Fassung der Wahrheit, Hohe Frau.« Er deutete mit dem Kinn zu der Axt, die auf Thoruns Rucksack geschnallt war. »Seht Ihr diese Waffe? Bis zur Schlacht von Neherinach war sie bei den Fjel völlig unbekannt. Wir haben ihnen das beigebracht, Cerelinde. Euer Volk und das meinige.«
Ihr Gesicht war bleich. »Satoris Fluchbringer hat die Fjel bewaffnet.«
»Das behauptet Euer Volk«, sagte Tanaros. »Das meine übrigens auch. Aber ich habe in tausend Jahren etwas dazugelernt, Hohe Frau. Mein Herr hat ihnen Waffen gegeben, das stimmt – nach der Schlacht von Neherinach, bei der Hunderte von ihnen gefallen waren, die ihn nur mit Zähnen und Krallen verteidigt hatten. Ja, er brachte ihnen bei, wie man Eisenerz verarbeitet, und gab ihnen Waffen aus Stahl. Und ich, ich habe auch meinen Teil dazu beigetragen, Cerelinde. Ich habe ihnen gezeigt, wie man diese Waffen und jene Gaben, die Neheris ihnen verlieh, im Krieg einsetzt. Wieso?« Er berührte seine Schläfe mit dem Zeigefinger. »Weil ich mit Verstand gesegnet bin. Mit Haomanes Gabe, die er nur seinen und den Kindern Arahilas verlieh. Und das, Hohe Frau, ist jene Gabe, die den Fjel vorenthalten wurde.«
Cerelinde hob ihr Kinn. »War ihr Schicksal denn so schrecklich? Ihr habt es doch selbst gesagt, Heerführer. Die Fjel waren in ihren Bergen zufrieden, bis Satoris Fluchbringer ihnen andere Gedanken eingab.«
»Dann hätten sie sich also mit ihrem Schicksal zufriedengeben sollen?«
»Sie waren zufrieden.« Ihr Blick war fest. »Haomane der Erstgeborene ist der Oberste der Schöpfer, Herr der Souma. Satoris erhob sich gegen ihn und spaltete die Welt durch seinen Verrat. Er floh nach Neherinach vor Haomanes Zorn, und dort nahm er die Fjel in seinen Dienst, schwor sie auf seine Sache ein, damit er nicht für seinen Betrug
Weitere Kostenlose Bücher