Elena – Ein Leben fuer Pferde
Hundert-Meter-Lauf antreten musste.
Jetzt war Tim an der Reihe. Er startete mit drei anderen Läufern und kam als Erster durchs Ziel. Ich hörte Pfiffe und Applaus, ein paar Jungs klopften ihm auf den Rücken, und Tim zeigte kurz sein goldiges Grinsen, das unwillkürlich mein Herz zum Klopfen brachte, obwohl es gar nicht mir gegolten hatte. Am liebsten wäre ich quer über den Sportplatz zu ihm hingerannt und hätte ihn umarmt, aber das durfte ich nicht.
Einige der Jungs aus Christians Klasse riefen spöttische Bemerkungen zu den Realschülern hinüber. Tim schüttelte nur den Kopf und winkte ab. Die Sticheleien gingen trotzdem weiter. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Christian war auf hundertachtzig. Die Schmach vom Wochenende hatte seinem Hass auf Tim neue Nahrung gegeben, und nachdem Tim mit Juke Box gestern noch den vierten Platz im Großen Preis errungen und damit die notwendige S**-Platzierung hatte, für die er nun als einer der jüngsten Reiter in ganz Deutschland das Goldene Reiterabzeichen erhalten würde, suchte mein Bruder nur eine passende Gelegenheit, um mit ihm Streit anzufangen.
»Kommt, Kinder!«, rief unsere Sportlehrerin, hüpfte energiegeladen vor uns herum und wedelte mit den Händen. Die Bundesjugendspiele waren die Sternstunde in ihrem Jahr, und sie verzog missbilligend das Gesicht, als wir ächzend und stöhnend wie eine Seniorenturngruppe aus dem Altersheim auf die Beine kamen und uns murrend zur Weitsprunggrube hinüberschleppten.
»Etwas mehr Motivation bitte!«, rief sie aufmunternd, aber es war einfach zu heiß, um motiviert in einen Sandkasten zu springen oder sinnlos auf einer Aschenbahn herumzurennen. Manche aus meiner Klasse stellten sich superdämlich an, deshalb zog sich die ganze Angelegenheit unnötig in die Länge und unsere Sportlehrerin wurde allmählich sauer.
Mein Sprung klappte gleich beim ersten Mal, ich trat nicht wie die meisten anderen über die Absprunglinie. Ich stellte mich wieder zu den anderen Achtklässlern und blickte mich nach Melike um. Ohne mein Handy fühlte ich mich wie abgeschnitten vom Rest der Welt.
Mein Blick fiel auf eine Gruppe von Jungs, die sich auf der Wiese hinter dem Häuschen mit den Umkleidekabinen versammelt hatten. Ich erkannte ein paar Leute aus der Zehnten und mir schwante plötzlich Schlimmes. Ohne meine Lehrerin um Erlaubnis zu bitten, verließ ich meine Klasse und spurtete los. Ich rannte quer über den Sportplatz und drängte mich durch die Menge der Schaulustigen, die einen Kreis gebildet hatten. Zu meinem Entsetzen sah ich in der Mitte des Kreises Christian und – Tim! Mir blieb die Luft weg.
Sie maßen sich gegenseitig und bewegten sich langsam im Kreis.
»Ich hau dir aufs Maul, du asozialer Penner!«, zischte Christian, der die Hände zu Fäusten geballt hatte.
»Na dann los, Weiland«, sagte Tim gelassen. »Schlag endlich zu! Ich kann’s kaum erwarten!«
Und da stürzte sich Christian auf seinen verhassten Gegner. Seine ganze aufgestaute Wut brach aus ihm hervor. Mit beiden Fäusten prügelte er auf Tim ein, aber der wehrte seine Schläge leicht ab.
»Ist das alles, was du drauf hast?«, rief er spöttisch.
»Stimmt, du hast ja Erfahrung darin, verprügelt zu werden«, entgegnete mein Bruder grimmig. »Das ist bei eurer Proletenfamilie an der Tagesordnung.«
»Los, Chris! Schlag zu! Mach ihn platt!«, stachelten ihn ein paar Klassenkameraden an, allerdings nur gedämpft, um nicht zu schnell die Aufmerksamkeit der Lehrer auf den Kampf zu ziehen.
Plötzlich war Melike neben mir. Sie ergriff meinen Arm.
»Ich hol einen Lehrer«, stammelte ich, aber da war es schon zu spät. In der gleichen Sekunde waren die beiden schon aneinander. Stumm und verbissen schlugen sie aufeinander ein, wälzten sich am Boden, kamen wieder auf die Füße. Christians Lippe war aufgeplatzt und blutete, sein rechtes Auge schwoll bereits zu und Tim lief das Blut übers Kinn. Niemand achtete mehr darauf, leise zu sein. Begeistert und blutgierig feuerten die sensationslüsternen Zuschauer die beiden Kämpfenden an. Mittlerweile hatte sich die halbe Schule ringsum versammelt, die Lehrer hatten Mühe, bis in die Mitte durchzudringen.
»Was ist denn hier los?«, schrie einer. »Schluss damit jetzt! Hört auf, ihr zwei!«
Einer der Sportlehrer bekam meinen Bruder zu fassen, ein anderer stürzte sich auf Tim und bog ihm unsanft die Arme nach hinten.
»Was fällt euch ein?«, rief einer der Lehrer empört. »Prügelt euch hier wie auf der
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