Elena – Ein Leben fuer Pferde
an der Tür des Lkws stehen und klopfte leise. Wenig später öffnete Liam von innen. Für ein paar Sekunden fiel ein heller Lichtschein nach draußen, und ich hörte, wie Tim scharf die Luft einzog. Der Mann verschwand im Lkw, die Tür fiel ins Schloss. Tim schauderte.
»Was hast du?«, fragte ich ängstlich.
»Ich kenne den Kerl«, erwiderte Tim dumpf.
»Und? Wer ist das?«
Tim zögerte einen Moment.
»Ich weiß nicht, wie er heißt. Aber er war neulich mit dem Grinser und Gasparian bei uns auf dem Hof«, erwiderte er dann. »Ich bin ganz sicher, dass der irgendwie krumme Geschäfte macht. Er ist mir unheimlich.«
Mir war der dicke Gasparian viel unheimlicher als jeder andere Mensch.
»Was soll Liam denn mit so jemand zu tun haben?«
»Tja«, sagte Tim. »Das frage ich mich allerdings auch.«
Heller Sonnenschein weckte mich am nächsten Morgen. Gestern Nacht war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, kein Auge mehr zumachen zu können, aber ich war wohl doch sofort eingeschlafen. Ich tastete gähnend nach meinem Handy. Zehn nach sechs. Papa war schon draußen, Mama lag noch im Bett.
Ich stand auf, zog mich leise an und verließ den Wohnwagen. Als ich wenig später verschlafen zu den Stallzelten wankte, erschien mir unser nächtliches Abenteuer wie ein verrückter Traum. Nachdem der fremde Mann zu Liam in unseren Lkw geklettert war, hatte Tim mich zum Wohnwagen begleitet und draußen gewartet, bis ich ihm den Schlüsselbund durch das geklappte Fenster gereicht hatte. Sein Plan war, den Bund irgendwohin zu legen, wo Liam ihn gleich finden musste.
Ich betrat das Stallzelt. Mein Adrenalinspiegel schoss in die Höhe, als ich Liam direkt gegenüberstand. Er war gerade dabei, die morgendlichen Futterrationen für unsere Pferde abzumessen.
»Hi«, sagte er freundlich wie immer und sah nicht gerade aus wie jemand, der sich nachts heimlich mit zwielichtigen Personen traf. »Du bist aber früh auf den Beinen.«
»Ich bin so aufgeregt«, erwiderte ich. »Ich konnte nicht mehr schlafen.«
Ich half ihm, die Pferde zu füttern und die Boxen zu misten. Liam benahm sich ganz normal, er pfiff vor sich hin und ich zweifelte an Tims Verdacht, Liam würde mit irgendjemandem krumme Geschäfte machen.
Papa kam mit der Starterliste für die Springpferdeprüfung, er trug schon seine weiße Reithose und die Stiefel und hatte Liam einen Kaffee mitgebracht. Ich wartete, bis die Pferde fertig gefressen hatten, dann holte ich Fritzi aus seiner Box, besserte die Mähnenzöpfchen aus, die sich in der Nacht gelöst hatten, und putzte ihn auf Hochglanz.
Das Leben erwachte allmählich in den Stallzelten ringsum. Überall wurde gefüttert, gemistet, geputzt und gesattelt. Um acht Uhr ging es mit der ersten Prüfung des Tages los.
Mama kam in den Stall und ging mit Papa hinüber zur Halle, um zu frühstücken. Ich hatte keinen Hunger und hoffte außerdem, kurz mit Tim sprechen zu können. Liam ging ebenfalls frühstücken, und Christian lag sicher noch im Koma in der Koje im Lkw, nachdem er bis spät in die Nacht mit seinen Freunden gefeiert hatte.
Ich putzte noch Circle of Life und Qantas.
»Hey«, sagte Tim plötzlich hinter mir. Er war ein Meister im Anschleichen.
»Und? Hat mit dem Schlüssel alles geklappt?«, fragte ich und blickte hektisch von rechts nach links, um eine sich unverhofft nähernde Gefahr rechtzeitig zu bemerken.
»Jetzt halt doch mal den Kopf still,« sagte Tim belustigt. »Ich krieg ja ein Schleudertrauma, wenn ich dir nur zugucke.«
Da musste ich lachen. Tim hatte den Schlüsselbund auf den Boden unserer provisorischen Sattelkammer gelegt und ein paar Sägespäne darübergestreut.
»Aber erst habe ich noch ein Foto mit meinem Handy gemacht«, schloss er seinen Bericht. »Wer weiß, wozu das noch gut ist!«
»Ich glaub, du siehst Gespenster«, entgegnete ich. »Liam ist ganz normal drauf und …«
»Ich trau dem Kerl nicht über den Weg«, unterbrach Tim mich.
»Ach, du kannst Liam nur deshalb nicht leiden, weil er mich in Viernheim umarmt hat«, behauptete ich und fuhr fort, Qantas’ Schweif zu bürsten.
»Das stimmt nur halb«, antwortete Tim. »Aber Liam war ein paarmal bei uns auf dem Hof. Zuletzt vor ungefähr acht Tagen.«
Ich ließ die Schweifbürste sinken. »Und was hat er da gemacht?«
»Keine Ahnung.« Tim zuckte mit den Schultern. »Ich war gerade reiten. Er hat mit meinem Vater gesprochen und ist wieder weggefahren.«
Jemand betrat auf der anderen Seite das Stallzelt. Tim war so
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