Elena – Ein Leben fuer Pferde
schnell verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst, und ich blieb allein mit meinen Gedanken. Ich zweifelte nicht an dem, was Tim gerade erzählt hatte. Papa wusste ganz sicher nichts davon, dass Liam in seiner freien Zeit auf dem Sonnenhof herumlungerte, und er wäre darüber alles andere als begeistert.
Ich war richtig enttäuscht, denn ich mochte Liam gern. Wenn ich Papa sagte, dass sich Liam mit Richard Jungblut unterhielt, so würde er ihn rausschmeißen. Ganz sicher. Allerdings brauchte er ihn, solange der Aknefrosch noch nicht wieder arbeiten konnte. Ich saß in der Zwickmühle und beschloss, vorerst meinen Mund zu halten und Liam genau zu beobachten.
Fritzi gewann auch diesmal die Springpferdeprüfung der Klasse M mit einer überragenden Note. Richtig Zeit, um mich darüber zu freuen, hatte ich nicht, denn gleich anschließend begann die erste Qualifikation für uns Junioren, und ich war mit Quintano bereits als siebte Starterin an der Reihe. Der Parcours war ziemlich anspruchsvoll und lang, aber wir waren eben auf den hessischen Meisterschaften und nicht auf einem normalen Turnier.
Christian sah aus, als habe er nicht besonders viel Schlaf bekommen, seine Augen waren rot und geschwollen. Aber seine Kumpels sahen alle nicht viel besser aus als er. Das kam davon, wenn man bis in die Puppen feierte!
Tim war als Reiter mit den meisten Ranglistenpunkten als Letzter dran, er durfte auch nicht die Pferde reiten, mit denen er schon S-Springen gewonnen hatte, das verlangte das Handicap. Aber selbst auf einem noch relativ unerfahrenen Pferd wie Cascade de la Licorne war er der unangefochtene Favorit.
Genau wie ich war auch Ariane mit Con Amore bereits auf dem Abreiteplatz. Sie war nach mir an der Reihe.
Im Vorbeireiten erhaschte ich einen Blick auf einen Mann, der sich mit Papa unterhielt. Er war groß und breitschultrig, hatte ein kantiges Gesicht und in sein schütteres blondes Haar mischten sich graue Strähnen. Schon vorhin war er mir aufgefallen, weil er bei der Springpferdeprüfung die ganze Zeit zwischen Abreite- und Turnierplatz gestanden hatte, ohne sich von der Stelle zu rühren, und Fritzi so auffällig angestarrt hatte. Ich parierte durch und gurtete nach. Dabei schnappte ich ein paar Wortfetzen auf. Der Mann sprach deutsch, aber mit einem Akzent. Holländisch? An Papas Reaktion erkannte ich, dass es wieder mal um Fritzi ging, denn er lächelte nur und schüttelte den Kopf. Dann bückte er sich unter dem Geländer durch und betrat den Abreiteplatz.
»Komm einmal aus dem Trab übers Kreuz!«, rief Papa mir zu.
»Sprung frei!«, rief ich und trabte an.
Da lenkte Ariane ihr Pferd direkt vor mir auf den Zirkel. Ich musste Quintano eine grobe Parade geben, sonst wäre ich mit Con Amore zusammengestoßen.
»Pass doch auf!«, schrie ich.
Ariane grinste nur und galoppierte ungerührt weiter. Noch zwei Mal ritt sie mir in den Weg, sodass ich mein Pferd jedes Mal kurz vor dem Sprung abwenden musste. Quintano wurde nervös. Er mochte es nicht, so unsanft durchpariert zu werden. Ich war wütend. Sah denn keiner, dass sie mich absichtlich behinderte? Als ich schließlich in den Parcours galoppierte, war Quintano anders als sonst, hektischer. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, mit ihm zu reden, aber heute blieb er stumm.
Mit sehr viel Glück gelang uns eine fehlerfreie Runde, allerdings kassierten wir einen Zeitstrafpunkt. Papa war dennoch zufrieden.
»Diese bescheuerte Kuh von Ariane hat Quintano auf dem Abreiteplatz ganz nervös gemacht«, beklagte ich mich. »Dauernd ist sie mir in den Weg geritten.«
Ariane ritt eine sehr sichere und schnelle Null-Fehler-Runde. Ihre Zeit konnten weder Christian noch Tim einholen, die am Ende hinter ihr auf den Plätzen zwei und drei landeten. Ich wurde immerhin noch Neunte.
Am Nachmittag fand die erste Qualifikation der Senioren statt. Liam ritt Cotopaxi, Nevertheless und Mister Magic, Papa Cornado, Calvador und Intermezzo. Sechs Pferde in einer Prüfung war purer Stress, und Christian und ich rannten uns zwischen Stallzelt und Abreiteplatz die Füße wund.
Tims Vater siegte in dieser Prüfung, einem Zeitspringen, mit einem neuen Pferd dank einer halsbrecherischen Runde, Liam wurde mit Mister Magic sensationell Zweiter. Darüber freute Papa sich beinahe mehr als über seine eigenen Platzierungen mit Calvador und Cornado.
Am Abend war ich total erschöpft, es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, aber Tim und ich hatten verabredet, uns später wieder
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