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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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konnten wir in unserem Herzen sagen, »ich will doch keine Abzeichen«, und unsere Ver- achtung verlieh unserer Geisteshaltung Würde. Mehr als eine Geisteshaltung brauchten wir sowieso nicht, hatten wir nie gebraucht, und diese Haltung war viel bequemer als Reeces strenges, anspruchsvolles Glaubensbekennt- nis. Ich glaube, sie bedeutete, daß das Lager am Ende der Ausbildung einen Haufen schamloser kleiner Schlau- meier ablieferte, die in der unermeßlichen Unordnung der Armee verteilt und absorbiert wurden, aber Reece mußte es zumindest nicht mitansehen, und er wäre der einzige gewesen, dem es etwas ausgemacht hätte.

Überhaupt keine Schmerzen

    Myra richtete sich auf dem Rücksitz kerzengerade auf, schob Jacks Hand weg und strich sich den Rock glatt.
     »Schon gut, Süße«, flüsterte er lächelnd, »nur die Ruhe.«
     »Gib du Ruhe, Jack«, erklärte sie ihm. »Und ich mein's jetzt wirklich ernst.«
     Seine Hand zog sich langsam zurück, aber sein Arm blieb schlaff auf ihren Schultern liegen. Myra ignorierte ihn und starrte zum Fenster hinaus. Es war ein früher Sonn- tagabend Ende Dezember, und die Straßen von Long Island wirkten wie ausgestorben; kleine schmutzige Schnee- haufen lagen auf dem Trottoir, aus geschlossenen Schnaps- läden grinsten Pappnikoläuse.
     »Ich find's immer noch nicht richtig, daß du mich die ganze Strecke hier rausfährst«, rief Myra Marty zu, der sich aus Höflichkeit dazu bereit erklärt hatte.
     »Schon okay«, brummte Marty. Dann drückte er auf die Hupe und fügte, einem langsam vor ihm her tuckernden Laster zugewandt, hinzu: »Mach mal Platz da mit deiner Scheißkarre.«
     Myra war verärgert – wieso hatte Marty andauernd etwas zu meckern? –, aber da drehte sich Irene, Martys Frau, auf dem Beifahrersitz freundlich grinsend nach hin- ten. »Geht schon in Ordnung«, sagte sie. »Tut Marty ganz gut, wenn er sonntags mal rauskommt und nicht zu Hause rumhängt.«
    »Na ja«, sagte Myra, »ich bin ja auch dankbar dafür.« In
    Wirklichkeit wäre sie allerdings lieber mit dem Bus gefah- ren, und zwar wie üblich allein. In den vier Jahren, die sie jeden Sonntag hierherkam, um ihren Mann zu besu- chen, hatte sie sich an die lange Fahrt gewöhnt; auf dem Rückweg mußte sie in Hempstead umsteigen, wo sie dann gern in einer Cafeteria einkehrte und sich Kaffee und Kuchen bestellte. Heute jedoch war sie mit Jack bei Irene und Marty zum Abendessen eingeladen gewesen, und das Essen hatte so lange gedauert, daß Marty ihr anbieten mußte, sie zur Klinik zu fahren, und dieses Ange- bot konnte sie nicht ausschlagen. Und dann mußten natürlich auch Irene und Jack mit, und alle taten so, als erwiesen sie ihr damit einen Gefallen. Aber man mußte ja höflich sein. »Es ist wirklich schön«, rief Myra, »mal mit dem Wagen hier rauszufahren, statt mit dem – laß das, Jack!«
     Jack sagte: »Pschsch, nur die Ruhe, Süße«, doch sie stieß seine Hand weg und wandte sich ab. Irene beobach- tete die beiden und schob kichernd die Zunge zwischen die Zähne; Myra spürte, wie sie errötete. Nicht daß sie sich wegen irgend etwas schämen mußte – Irene und Marty wußten über Jack und alles andere vollkommen Bescheid, was für die meisten ihrer Freunde galt, und kei- ner machte ihr Vorwürfe (außerdem, war sie nicht fast so etwas wie eine Witwe?) –, es ging bloß darum, daß Jack es endlich hätte kapieren müssen. Konnte er nicht wenig- stens so weit die Form wahren, daß er seine Hände bei sich behielt?
     »Na also«, sagte Marty. »Jetzt geht's endlich vorwärts.« Der Laster war abgebogen, sie fuhren nun schneller und ließen die Straßenbahngleise und Läden hinter sich; aus der Straße wurde eine Chaussee und schließlich ein Highway.
     »Lust auf 'n bißchen Radio, Kinder?« rief Irene. Sie drückte eine der Programmtasten, worauf eine Stimme alle Welt dazu drängte, es sich heute abend vor dem hei- mischen Fernseher gemütlich zu machen. Sie betätigte eine weitere Taste; eine Stimme sagte: »Ja, in einem Craw- ford-Laden bekommen Sie mehr für Ihr Geld!«
     »Schalt bloß den Schwätzer ab«, sagte Marty, drückte erneut auf die Hupe und bog in die Schnellstraße ein.
     Als der Wagen das Klinikgelände erreicht hatte, drehte sich Irene auf dem Beifahrersitz um und sagte: »Ist doch ein herrliches Plätzchen. Ich mein', ist das nicht wunder- voll hier? Oh, seht mal, sie haben einen Christbaum auf- gestellt, mit Lichtern und allem Drum und Dran.«
     »Schön«, sagte

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