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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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während er wartete, holte er seinen Füller heraus und bat den Barmann um das IBF-Mitgliedsbuch.
     »Nochmals hallo«, sagte Sids Stimme. »Wo soll ich Mit- glied werden?«
     »Im IBF«, sagte Carson. »Das steht für International Barflies, das wurde hier im Harry's gegründet neun- zehnhundert-ich-weiß-nicht. Vor langer Zeit. Eine Art Club.«
     »Sehr gut«, sagte Sid und kicherte in sich hinein.
     »Also, dabei geht es um folgendes«, setzte Carson an, und sogar der Barmann, den der IBF langweilte und ärger- te, lächelte vergnügt über die ernste eifrige Art, in der Carson ihn erklärte, daß jedes Mitglied einen Anstecker fürs Revers mit einer Fliege als Abzeichen bekam sowie ein gedrucktes Büchlein mit den Vorschriften des Clubs und einer Auflistung aller IBF-Bars in der Welt; daß die Kardinalregel lautete, sollten sich zwei Mitglieder begeg- nen, mußten sie sich begrüßen, indem sie mit den Fin- gern der rechten Hand über die Schulter des anderen stri- chen und »Bss-s-s, bss-s-s!« sagten.
     Das war eins von Carsons besonderen Talenten, die Fähigkeit, schamloses Vergnügen an trivialen Dingen zu finden und zu vermitteln. Nicht viele Menschen hätten den IBF einem Jazzmusiker beschreiben können, ohne mit einem bedauernden Lachen abzubrechen und zu erklären, daß es sich dabei natürlich um ein kleines trau- riges Spiel für einsame Touristen handelte, eigentlich etwas für Spießer, und daß der Mangel an Niveau der Spaß dabei war; Carson sprach geradeheraus. Auf die gleiche Weise hatte er einst dafür gesorgt, daß es unter den beleseneren Studenten in Yale Mode wurde, am Sonntagmorgen respektvoll konzentriert die Comicseiten des New York Mirror zu lesen; in letzter Zeit hatte ihn der- selbe Charakterzug vielen Zufallsbekanntschaften ans Herz wachsen lassen, insbesondere seiner derzeitigen Freun- din, der jungen schwedischen Kunststudentin, wegen der er in Paris geblieben war. »Du hast in allen Dingen einen wunderbaren Geschmack«, hatte sie an ihrem ersten denk- würdigen gemeinsamen Abend gesagt. »Du bist ein wirk- lich gebildeter, wirklich origineller Mensch.«
     »Haben Sie verstanden?« fragte er in den Hörer und hielt inne, um an seinem Pernod zu nippen. »Genau. Wenn Sie mir jetzt noch Ihren vollen Namen und Ihre Adresse sagen, Sid, werde ich hier alles organisieren.« Sid buchstabierte, und Carson schrieb alles gewissenhaft mit seinem und Kens Namen als Bürgen in das Mitglieds- buch, während Mr. Baidinger zusah. Als sie fertig waren, meldete sich noch einmal Ken, um sich widerwillig zu verabschieden, und dann legten sie auf.
     »Das muß ein ziemlich teures Telefongespräch gewesen sein«, sagte Mr. Baidinger beeindruckt.
     »Da haben Sie recht«, sagte Carson. »Das war es ver- mutlich.«
     »Und worum geht's bei diesem Mitgliedsbuch eigent- lich? Bei dieser Barflies-Geschichte?«
     »Oh, Sie sind kein Mitglied, Mr. Baidinger? Ich dachte, Sie wären Mitglied. Hier, ich bürge für Sie, wenn Sie möchten.«
     Mr. Baidinger hatte, wie er es später beschrieb, einen Mordsspaß an der Sache: Bis in die frühen Morgenstun- den machte er sich an der Bar an alle heran, an einen nach dem anderen, und begrüßte sie mit einem Summen.

    Carson fuhr am Samstag nicht nach Cannes, denn er brauchte länger als geplant, um die Affäre mit dem schwedischen Mädchen zu beenden. Er hatte eine trä- nenreiche Szene erwartet oder zumindest einen tapferen Austausch zärtlicher Versprechungen und Lächeln, aber statt dessen nahm sie seine Abreise überraschend gelassen auf – sogar zerstreut, als würde sie sich bereits auf den nächsten wirklich gebildeten, wirklich originellen Men- schen konzentrieren –, und das zwang ihn zu mehreren unangenehmen Aufschüben, die zu nichts weiter führten, als daß sie ungeduldig wurde und er das Gefühl hatte, vertrieben zu werden. In Cannes traf er erst am folgen- den Dienstagnachmittag ein, nach weiteren Telefonge- sprächen mit Ken, und als er schließlich aus dem Zug stieg, steif und verdrossen aufgrund eines Katers, wollte er verdammt sein, wenn er wußte, warum er überhaupt gekommen war. Die Sonne attackierte ihn, brannte sich tief in seine schmerzende Kopfhaut und verursachte einen plötzlichen Schweißausbruch unter seinem zerknitterten Hemd; sie ließ die verchromten Teile der geparkten Autos und Motorräder blendende Funken schlagen und die Ab- gase in kränklich blauen Wolken vor den rosa Gebäuden aufsteigen; sie tauchte den Schwarm

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