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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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Carson, gehen wir. Zum Teufel mit ihm.« Und Kens Kopf war bereits voller Pläne: Sie würden in die Kühle der Croisette hinausschlendern, um lange und ernsthaft über die Bedeutung von Integrität zu reden, wie selten sie war und wie leicht vorzutäuschen und wie das Streben danach der einzige Kampf im Leben eines Men- schen war, den es sich zu kämpfen lohnte, bis alle Un- stimmigkeiten des Tages ausgeräumt wären.
     Aber Carson schob seinen Stuhl zurück, lächelnd und stirnrunzelnd zugleich. »Gehen?« sagte er. »Was ist los mit dir? Willst du nicht bleiben und dir das Spektakel ansehen? Ich schon. Findest du es nicht auf schreck- liche Weise faszinierend?« Er hielt sein Glas in die Höhe und signalisierte, daß sie zwei weitere Cognacs wünsch- ten.
     Sid brachte »Stardust« zu einem würdevollen Abschluß, stand auf und badete im Applaus, um dann eine Pause zu machen. Er ragte direkt vor ihrem Tisch auf, als er vor- trat und vom Podium stieg, sein großes Gesicht schweiß- glänzend; er drängte sich an ihnen vorbei, blickte zu Dia- monds Tisch, blieb kurz dort stehen, um »Danke, Sir« zu sagen, obschon Diamond ihn nicht angesprochen hatte, bevor er sich einen Weg zur Bar bahnte.
     »Vermutlich glaubt er, uns nicht gesehen zu haben«, sagte Carson.
     »Wahrscheinlich nur gut so«, sagte Ken. »Ich wüßte nicht, was ich zu ihm sagen sollte.«
     »Das wüßtest du nicht? Ich schon.«
     Im Raum war es zum Ersticken, und Kens Cognac hatte in seiner Hand ein etwas abstoßendes Aussehen und einen widerwärtigen Geruch angenommen. Er lockerte sich mit feuchten Fingern Kragen und Krawatte. »Komm, Carson«, sagte er. »Verschwinden wir hier. An die frische Luft.«
     Carson ignorierte ihn, beobachtete, was an der Bar vor sich ging. Sid trank etwas, was Jaqueline ihm anbot, und verschwand dann auf der Männertoilette. Als er ein paar Minuten später zurückkehrte, das Gesicht getrocknet und gefaßt, wandte Carson sich wieder um und starrte auf sein Glas. »Da kommt er. Ich glaube, er wird uns jetzt mit einem großen Hallo begrüßen, um Diamond zu beein- drucken. Paß auf.«
     Einen Augenblick später strichen Sids Finger über den Stoff von Carsons Schulter. »Bss-s-s-, bss-s-s!« sagte er. »Wie geht es euch heute abend?«
     Ganz langsam wandte Carson den Kopf. Unter schwe- ren Augenlidern blickte er für den Bruchteil einer Sekunde auf Sids Lächeln, so wie ein Mann einen Kellner anblik- ken könnte, der ihn versehentlich berührt hat.
     »Oh«, sagte Sid. »Vielleicht habe ich es nicht richtig gemacht. Vielleicht war es die falsche Schulter. Ich bin noch nicht allzu vertraut mit den Regeln und Vorschrif- ten.« Murray Diamond und die Blondine beobachteten sie, Sid zwinkerte ihnen zu, hielt den Daumen unter den IBF-Anstecker auf seinem Revers, während er seitwärts an Carsons Stuhl vorbeiging. »Das ist ein Club, in dem wir Mitglieder sind, Mr. Diamond«, sagte er. »Der Barflies- Club. Das Problem ist nur, daß ich die Regeln und Vor- schriften noch nicht richtig kenne.« Nahezu alle im Raum sahen ihm zu, wie er Carsons andere Schulter berührte. »Bss-s-s, bss-s-s!« Diesmal zuckte Carson zusammen und zog sein Jackett an sich, blickte mit einem verwirrten kleinen Achselzucken zu Ken, als wollte er fragen: Weißt du, was dieser Mann will?
     Ken wußte nicht, ob er kichern oder kotzen sollte; er empfand plötzlich beide Bedürfnisse sehr stark, obwohl sein Gesicht nichts davon verriet. Später erinnerte er sich noch lange Zeit an die saubergewischte schwarze Plastik- fläche des Tisches unter seinen reglosen Händen, die die einzig nicht schwankende Oberfläche in der Welt zu sein schien.
     »Na, sagt schon«, sagte Sid und zog sich mit einem polierten Lächeln ans Klavier zurück. »Was geht hier vor? Irgendeine Verschwörung?«
     Carson ließ ein lastendes Schweigen folgen. Dann stand er mit einer Miene auf, als hätte er sich plötzlich vage an etwas erinnert, als wollte er sagen, ach ja, natürlich, und ging zu Sid, der verwirrt ins Scheinwerferlicht zurück- wich. Carson sah ihn an, streckte einen schlaffen Finger und berührte ihn an der Schulter. »Bsss«, sagte er. »Ist es damit erledigt?« Er drehte sich um und kehrte zu seinem Stuhl zurück.
     Ken betete, daß jemand – irgend jemand – lachen würde, aber niemand tat es. Nichts regte sich im Raum, während Sids Lächeln erstarb und er Carson und Ken anblickte, seine Lippen langsam die Zähne bedeckten und seine Augen größer

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