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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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beherrscht und nahm den Bart und die Binden von McIntyres Bett. »Na gut, zum Teufel damit.« Er drehte sich um und schritt zurück zu seinem Bett, und Jones trottete verlegen lä- chelnd hinter ihm her, seine locker sitzenden Pantoffeln klatschten auf den Boden.
     McIntyre schüttelte den Kopf. »Das sind doch zwei Vollidioten«, sagte er zu dem Mann im Bett neben sei- nem, einem dünnen und sehr kranken Neger namens Vernon Sloan. »Hast du das mitgekriegt, Vernon?«
     »So in etwa«, sagte Sloan. Er wollte noch etwas hinzu- fügen, begann aber statt dessen zu husten und griff mit seiner langen braunen Hand nach seinem Spucknapf, und McIntyre wandte sich wieder seinem Brief zu.
     Zurück an seinem Bett, warf Tiny den Bart und die Bin- den in seinen Spind und knallte die Tür zu. Jones eilte zu ihm und sagte flehentlich: »Hör mal, Tiny, wir finden jemand anders. Wir nehmen Shulman oder –«
     »Shulman ist zu dick.«
     »Dann eben Johnson oder –«
     »Hör mal, vergiß es, ja, Jones?« explodierte Tiny.
    »Scheiß drauf. Ich bin fertig damit. Da versucht man, sich was auszudenken, damit die Jungs an Silvester ein biß- chen was zu lachen haben, und das kommt dabei raus.«
    Jones setzte sich auf den Stuhl neben Tinys Bett. »Ach,
    zum Teufel«, sagte er nach einer Weile, »Es ist trotzdem eine gute Idee, oder?«
     »Ach!« Tiny winkte mit seiner großen Hand angewidert ab. »Meinst du vielleicht, einer von den Scheißkerlen wüßte das zu schätzen? Meinst du vielleicht, daß es in dem ganzen Haus auch nur einen Idioten gibt, der das zu schätzen wüßte? Scheiß auf sie alle.«
     Es hatte keinen Sinn zu streiten; Tiny würde für den Rest des Tages schmollen. So war es immer, wenn seine Gefühle verletzt wurden, und sie wurden ziemlich oft verletzt, denn seine besondere Art von Frohsinn war dazu angetan, den anderen Männern auf die Nerven zu gehen. Da war zum Beispiel die Sache mit der quakenden Gummiente, die er kurz vor Weihnachten als Geschenk für einen seiner Neffen im Krankenhausladen gekauft hatte. Das Problem damals war gewesen, daß er letzten Endes beschlossen hatte, dem Kind etwas anderes zu schenken und die Ente selbst zu behalten; er konnte stundenlang über das Quaken lachen. Nachdem abends die Lichter gelöscht waren, schlich er zu den anderen Patienten und quakte ihnen mit der Ente ins Gesicht, und es dauerte nicht lange, bis ihm alle rieten, es sein zu lassen und den Mund zu halten. Dann nahm jemand – es war McIntyre gewesen – die Ente von Tinys Bett und ver- steckte sie, und Tiny hatte drei Tage lang geschmollt. »Ihr haltet euch ja für so schlau«, hatte er die gesamte Station angemurrt. »Verhaltet euch wie ein Haufen Kinder.«
     Jones fand die Ente und gab sie ihm zurück; Jones war der einzige, der die Dinge, die Tiny tat, noch lustig fand. Als er jetzt aufstand, um zu gehen, heiterten sich seine Züge ein wenig auf. »Wie auch immer, ich hab' meine Flasche, Tiny«, sagte er. »Du und ich wir werden heute Nacht jedenfalls Spaß haben.« Jones trank nicht viel, aber Silvester war etwas Besonderes, und Schmuggeln war eine Herausforderung: Ein paar Tage zuvor hatte er dafür gesorgt, daß ein halber Liter Whiskey hereingebracht wurde, und ihn unter viel Gekicher in seinem Spind unter einem Schlafanzug versteckt.
     »Erzähl bloß niemand, daß du ihn hast«, sagte Tiny. »Ich würde den Scheißkerlen nicht mal die Uhrzeit sagen.« Er schob sich eine Zigarette in den Mund und entfachte wütend ein Streichholz. Dann nahm er seinen neuen Morgenmantel – ein Weihnachtsgeschenk – vom Kleider- bügel, schlüpfte hinein und zog trotz seiner Stimmung sorgfältig die Schulterpolster und den Gürtel zurecht. Es war ein prächtiger Morgenmantel aus pflaumenfarbe- nem Satin mit kontrastierendem roten Revers, und Tinys Miene und Haltung nahmen eine eigenartige Würde an, wann immer er ihn trug. Diese Erscheinung war ebenso neu oder saisonbedingt wie der Morgenmantel selbst: Sie stammte aus der Vorwoche, als Tiny sich angekleidet hat- te, um Weihnachten zu Hause zu verbringen.
     Viele der Männer waren auf die eine oder andere Art eine Offenbarung, wenn sie Straßenkleidung trugen. McIntyre wurde erstaunlich bescheiden und unfähig zu Sarkasmus oder Jux, wenn er sein kaum getragenes Buch- halterkostüm aus blauer Serge anzog, und Jones wurde in seiner alten Schlechtwetterjacke von der Marine erstaun- lich robust. Der junge Krebs, den alle Junior nannten, nahm in seinem doppelreihigen

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