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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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zu Hause dachte. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis der Morgenmantel vertraut und zer- knittert war, und dann wäre es vorbei, aber bis dahin wirkte er wie eine Zauberformel.
     Auf der anderen Seite des Gangs brütete McIntyre über seinem unfertigen Brief. »Ich weiß nicht, Vernon«, sagte er zu Sloan. »Letzte Woche hast du mir leid getan, weil du über Weihnachten in diesem Loch bleiben mußtest, aber weißt du was? Du hast Glück gehabt. Ich wünschte, sie hätten mich auch nicht nach Hause gelassen.«
     »Wirklich?« fragte Sloan. »Wie meinst du das?«
     »Ach, ich weiß nicht«, sagte McIntyre und wischte die Feder seines Füllers an einem Taschentuch ab. »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, daß es ein- fach Scheiße ist, wenn man wieder zurückmuß.« Aber das war nur die halbe Wahrheit; die andere Hälfte ging nie- manden außer ihm etwas an, so wie der Brief, den er die ganze Woche schon zu schreiben versuchte.
     McIntyres Frau war in den letzten ein, zwei Jahren dick und konfus geworden. Sie besuchte ihn jeden zweiten Sonntagnachmittag und hatte nie viel zu erzählen außer über die Filme oder die Fernsehsendungen, die sie ge- sehen hatte, und sie hatte ihm kaum etwas über ihre zwei Kinder zu berichten, die so gut wie nie kamen. »Du wirst sie ja sowieso an Weihnachten sehen«, sagte sie stets. »Das wird ein Spaß werden. Aber hör mal, Paps, bist du sicher, daß dir die Busfahrt nicht schaden wird?«
     »Natürlich nicht«, erwiderte er heftig. »Letztes Jahr hat sie mir doch auch nicht geschadet, oder?«
     Nichtsdestotrotz atmete er schwer, als er in Brooklyn endlich aus dem Bus stieg, beladen mit den Gesehen- ken, die er im Krankenhausladen gekauft hatte, und die verschneite Straße nach Hause ging er ganz langsam ent- lang.
     Seine Tochter Jean, die jetzt achtzehn war, war nicht da, als er ankam.
     »Ach ja«, erklärte seine Frau, »ich dachte, ich hätte dir gesagt, daß sie heute abend wahrscheinlich nicht da ist.«
     »Nein«, sagte er. »Das hast du mir nicht gesagt. Wo ist sie?«
     »Ach, im Kino, mit ihrer Freundin Brenda. Ich dachte, es würde dir nichts ausmachen, Paps. Ja, ich habe ihr sogar zugeredet. Sie braucht hin und wieder einen Abend für sich. Du weißt schon, sie ist ein bißchen erschöpft. Sie wird leicht nervös und so.«
     »Weswegen wird sie nervös?«
     »Ach, du weißt schon. Zum einen ist die Arbeit, die sie jetzt hat, sehr anstrengend. Ich meine, ihr gefällt die Arbeit, aber sie ist es nicht gewöhnt, acht volle Stunden am Tag zu arbeiten. Verstehst du, was ich meine? Sie wird sich schon noch dran gewöhnen. Komm, trink eine Tasse Kaffee, und dann schmücken wir den Baum. Das wird ein Spaß werden.«
     Auf dem Weg ins Bad kam er an Jeans leerem Zimmer vorbei, mit seinem sauberen kosmetischen Geruch, dem ausgefransten Teddybären und den gerahmten Fotos von Sängern, und er sagte: »Es ist schon komisch, wieder zu Hause zu sein.«
     Sein Junge, Joseph, war an Weihnachten vor einem Jahr noch ein Kind gewesen, das mit Modellflugzeugen ge- spielt hatte; jetzt war sein Haar gut zehn Zentimeter zu lang, und er verbrachte viel Zeit damit, es mit seinem Kamm zu bearbeiten und zu einer glänzenden Tolle mit hochgekämmten Seiten zu formen. Zudem war er ein starker Raucher, hielt die Zigaretten zwischen gelb ge- flecktem Daumen und ebensolchem Zeigefinger und das brennende Ende vor der Handfläche. Er bewegte kaum die Lippen, wenn er sprach, und wenn er lachte, gab er lediglich ein schniefendes Geräusch durch die Nase von sich. Während sie den Weihnachtsbaum schmük- kten, schnaubte er auf diese Weise kurz, als McIntyre das Gerücht erwähnte, daß die Behindertenrente der Vete- ranen vielleicht bald erhöht würde. Es mochte nichts bedeuten, aber für McIntyre war es dasselbe, als hätte er gesagt: »Willst du uns verarschen, Paps? Wir wissen doch, woher das Geld kommt.« Es schien eine unmißver- ständliche, neunmalkluge Anspielung auf die Tatsache, daß McIntyres Schwager und nicht seine Rente für den größten Teil des Familieneinkommens sorgte. Er beschloß, am Abend im Bett mit seiner Frau darüber zu sprechen, aber als es soweit war, sagte er nur: »Läßt er sich die Haare überhaupt nicht mehr schneiden?«
     »Alle Kinder tragen es jetzt so«, sagte sie. »Warum mußt du ihn immer kritisieren?«
     Am Morgen war Jean da, träge, mit zerwühltem Haar und in einen weiten blauen Bademantel gewickelt. »Hal- lo, Süßer«, sagte

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