Elfen und Goetter (Die Saga von Edro und Mergun - Komplettausgabe)
gesehen?“, wisperte in Merguns Rücken plötzlich eine vertraute Stimme.
Der Wanderer wirbelte herum. Er sah in Luuns eisgraue, wissende Augen. Mergun erschrak. Luun musterte ihn einige Momente lang schweigend. Sein Gesichtsausdruck war ernst.
„Wie kommst du hier her, Luun?“, erkundigte sich Mergun dann erstaunt.
„Das ist doch nicht wichtig, mein Freund.“
„Oh, doch! Das ist sogar sehr wichtig!“
„Sag mir, ob du ihn gesehen hast Mergun. Ihn, den Gott des Zorns...“
Mergun schluckte.
Ein flaues Gefühl machte sich in seiner Magengegend bemerkbar.
Er hatte das Gefühl, dass sein Gegenüber irgendetwas im Schilde führte.
Er will mich zu etwas drängen, das ich nicht möchte!, erkannte der Wanderer instinktiv.
„Ja, ich habe ihn gesehen“, gab Mergun unwillig zu. Wie hätte er es bestreiten können?
Luun nickte zufrieden.
„Was denkst du über ihn?“
„Über Ahyr? Was soll ich schon über ihn denken? Er ist ein Gott und das Schicksal der Sterblichen ist ihm herzlich gleichgültig. Die Freude an der puren Grausamkeit sah in seinen Augen aufleuchten...“ Mergun atmete tief durch, und blickte Luun fest an. „War es das, was du hören wolltest, grauer Mann? Wenn ja, dann ist unsere Unterhaltung hiermit zu Ende. Verschwinde und lass mich in Ruhe!“
„Alles, was ich von dir wollte, war eine ehrliche Antwort, Mergun. Ehrlich gegenüber mir - und dir selbst!“
„Die hast du bekommen!“
Luun nickte.
Um seine Lippen spielte ein hintergründiges Lächeln.
Er weiß genau, was er tut, dachte Mergun. Jeder Schritt seines Handelns schien exakt vorausgeplant zu sein - und der barbarische Wanderer hatte das Gefühl, wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden zu hängen. Ein unangenehmer Gedanke.
Wer ist der Spieler?, dachte Mergun.
Luun?
„Jeder bestimmt sein Schicksal selbst“, erklärte indessen der graue Mann und es klang beinahe wie eine Antwort auf Merguns Gedanken.
Der Wanderer erschrak.
Er verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.
„Ich bin mir da nicht sicher.“
„Alles andere sind fadenscheinige Entschuldigungen.“
„Entschuldigungen? Wofür?“ Mergun schüttelte den Kopf.
Sein Blick traf sich mit jenem von Luuns eisgrauen Augen. Der Wanderer schauderte unwillkürlich.
„Weißt du, was gleich im Tempel des Ahyr geschehen wird?“, fragte der graue Mann dann.
„Nein.“
Mergun schüttelte den Kopf.
„Es werden Menschenopfer dargebracht werden“, erklärte Luun.
„So ist es jedes Mal, wenn Ahyr nach Balan kommt!“ Mergun hob die Augenbrauen, dann zuckte er die Schultern.
„Kann man von einer Gottheit wie Ahyr etwas anderes erwarten?“, knurrte er zwischen den Zähnen hindurch.
Luun fuhr ungerührt fort.
„Insgesamt werden dreiundzwanzig Menschen umgebracht. Zehn Männer, zehn Frauen und drei Kinder. Fünf der Opfer werden verbrannt, fünf sterben durch die Axt, fünf durch den Dolch, sechs Opfern wird man bei lebendigem Leib die Haut abziehen und zwei wird man kreuzigen, nachdem man ihnen zuvor die Augen aus den Höhlen herausgedrückt hat...“
Das Grauen in Mergun wuchs, aber er versuchte, die Empfindungen zu betäuben.
Sein Blick traf sich abermals mit dem des grauen Mannes.
Weisheit lag in diesen Augen.
Aber da war auch noch etwas anderes; etwas, das der Wanderer noch nicht zu identifizieren vermochte.
Was beabsichtigt er?, fragte sich Mergun. Und weshalb hat der graue Mann mir im Tal von Grijang das Geheimnis des magischen Feuers verraten?
So viele Fragen, aber nicht eine einzige auch nur annähernd befriedigende Antwort.
Wer war Luun eigentlich?
Und welcher Macht diente er? Oder folgte er vielleicht nur seinen eigenen, undurchsichtigen Zielen?
Merguns Augen wurden schmal. „Es wird Zeit, dass ich mich davonmache“, meinte er. „Balan ist zur Zeit kein besonders gastlicher Ort...“
„Warum läufst du davon, Mergun?“, fragte Luun. Seine Stimme hatte ein tiefes Timbre und strahlte eine Autorität aus, der Mergun sich nur schwer entziehen konnte.
„Ich - davonlaufen?“
„Ja, das tust du!“
„Wovor sollte ich flüchten? Ich habe vor niemandem Angst!“
„Du fliehst vor deiner Verantwortung.“
„Welcher Verantwortung?“
„Der Verantwortung gegenüber diesen Menschen, Mergun!“
„Ich habe keinerlei Verantwortung den Bewohnern von Balan gegenüber. Ich bin niemandem außer mir selbst verantwortlich.“
„Du bist frei und nicht an diese Stadt gebunden, so wie es die Untertanen des zornigen Gottes
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