Elfen und Goetter (Die Saga von Edro und Mergun - Komplettausgabe)
an einen solchen Gott glauben, Túlina.“
„Warum nicht?“
„Dadurch, dass man an etwas glaubt, verleiht man ihm Existenz.
Wenn ich also an einen Gott glaube, wird er allein schon dadurch existent. Ich würde also durch meinen Glauben etwas zur Existenz machen, was es nach der kommenden Umstürzung der Verhältnisse nicht mehr geben darf: einen Gott! Und sind wir nicht hier, um die Götter zu stürzen? Wollen wir nicht ausziehen, um gegen sie zu Felde zu ziehen, sie von ihrem Berg stürzen?“
Túlina schwieg einige Augenblicke lang nachdenklich. Ihre Augen schauten auf etwas, was es gar nicht gab, suchten nach Dingen, die nicht existierten. Sie starrte ins Leere. Und das Mondlicht warf seltsame Schatten auf ihre Stirn.
„Und was ist mit dir, Túlina? Glaubst du an diesen Gott?“, fragte Irrtoc schließlich.
Ihr Geist schien wieder in die Realität zurückzukehren; sie starrte nicht länger Dinge an, die es nicht gab; sie starrte auch nicht länger ins Nichts, in die Leere, die ebenfalls nicht da war.
Sie wandte den Kopf und ihre Augen musterten Irrtoc.
„Die Gelehrten sagen, dieser Gott sei gegen die anderen Götter! Er stehe auf der Seite der Sterblichen!“, sagte sie.
Irrtoc zuckte mit den Schultern.
„Mag sein, dass er tatsächlich auf unserer Seite steht, dieser höchste Gott. Aber gleichzeitig ist er gegen uns, denn sonst hätte er die Götter zweifellos schon lange vernichtet. Er ist beides: gegen und für uns. Er ist alles. Jedermann kann seinen Willen so auslegen, wie er will und wie es ihm am besten in den Kram passt. Denn dieser höchste Gott hat nach Auffassung der Gelehrten weder einen Körper, noch ein Gesicht, noch einen Namen oder eine andere Form. Und er hat keine Stimme.“
Wieder eine Pause nachdenklichen Schweigens.
Dann:
„Ich glaube an diesen Gott, Irrtoc.“
„Das ist deine Entscheidung.“
„Verachtest du mich deswegen?“
„Nein.“ Er bemerkte ihre plötzliche Unruhe. „Warum sollte ich dich verachten.“
„Es ist eine weitverbreitete Untugend unter den Menschen (aber wie ich gehört habe auch unter den Göttern), dass man den anderen nur deshalb verachtet, weil man nicht seiner Meinung ist. Ganze Kriege werden deshalb gerührt.“
„Ich weiß, Túlina. Und wird nicht letztendlich auch dieser Krieg aus einem solchen Grunde geführt?“
„Nein, Irrtoc, dies ist etwas anderes. Hier stehen die Sterblichen auf, erheben sich gegen ihre Sklavenhalter. Dies tun sie, weil sie anders nicht mehr leben können und sie nicht wollen, dass die Zukunft so wird, wie die Vergangenheit war.“
„Und weil sie sich rächen wollen für das, was man ihnen angetan hat“, ergänzte Irrtoc.
Túlina zögerte etwas, aber dann nickte sie schließlich.
„Ja, auch deshalb sind viele gekommen. Aber kann man es ihnen verübeln? Kann man es ihnen wirklich verübeln, sich rächen zu wollen für die Gräuel die einigen von ihnen angetan wurden oder die sie mit ansehen mussten?“
„Nein. Sicherlich nicht“, sagte Irrtoc.
„Die Rache mag ein primitiver Trieb sein, aber wenn sie jetzt hervorbricht und die Götter verschlingt, dann sind einzig und allein sie selbst daran schuld. Sie haben es erst so weit kommen lassen.“
„Bist du auch hier, weil du dich - - rächen willst?“
„Ich bin hier, weil ich die alte Ordnung stürzen will, um eine neue, menschenwürdigere zu ersetzen“, erwiderte Túlina.
„Das ist das eine Motiv. Aber das andere ist zweifellos Rache, Túlina.“
„Vielleicht. Vielleicht hast du recht. Aber ist das wichtig? Ist es wichtig zu wissen, weshalb wir etwas tun oder lassen?“
„Ja. Es ist wichtig.“
„Weshalb?“
„Man sollte nie etwas tun, wofür es keinen Grund gibt.“ Túlina lachte kurz auf.
„Hätte ich immer nachgedacht, bevor ich etwas tat, so stünde ich jetzt nicht lebend vor dir!“
Wieder Schweigen.
„Glaubst du, dass die Götter wissen, was hier geschieht?“, fragte Túlina dann. Irrtoc zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht. Sie vermögen viel, die Götter. Vielleicht auch dies.“
„Jeden Moment können Zauberwesen aus dem Nichts auftauchen und uns angreifen.“
„Nein, jetzt noch nicht.“
„Warum nicht?“
„Die Götter sind träge geworden. Es dauert lange, bis sie sich zu einer Entscheidung durchringen können.“
„Du bist seltsam, Irrtoc.“
„Vielleicht sind wir beide seltsam, Túlina.“
„Ja, vielleicht. Vielleicht sind alle seltsam, die sich hier versammelt haben, um die Götter zu
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