Elfenbann
beugte sich vor, um nicht sonderlich subtil auf die leere Lehne vor sich zu klopfen. Tamani grinste beinahe entschuldigend, als er an ihr vorbei ging und sich neben ein Mädchen setzte, das konsequent ihr Schulbuch studierte, seit er hereingekommen war – Laurel.
Während Mrs Harms die täglichen Lektüreaufgaben herunterleierte, lehnte Laurel sich zurück und starrte Tamani an. Sie versuchte nicht, ihr Interesse zu verbergen, da alle anderen Mädchen ebenfalls große Augen machten. Es machte sie wahnsinnig, so nah neben ihm zu sitzen, mit tausend Fragen im Kopf. Einige waren ganz vernünftig, viele andere nicht.
Laurel schwirrte der Kopf, als es endlich klingelte. Das war die Gelegenheit. Sie hätte am liebsten alles auf einmal getan: ihn angeschrien, geschlagen, geküsst oder an den Schultern gepackt und geschüttelt. Doch am allerliebsten hätte sie die Arme um ihn geschlungen, sich an seine Brust geschmiegt und ihm gestanden, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Bei einem Freund war das doch erlaubt, oder?
Andererseits: War sie nicht genau deswegen so wütend geworden, dass sie ihn überhaupt erst weggeschickt hatte? Bei Tamani gab es keine freundschaftlichen Umarmungen. Er wollte immer mehr. Und so schmeichelhaft seine Beharrlichkeit – und seine Leidenschaft – auch waren, so unangenehm war seine Art, David wie einen Feind zu behandeln, der vernichtet werden musste. Es
hatte ihr das Herz gebrochen, Tamani fortzuschicken, und Laurel war nicht sicher, ob sie das Ganze noch einmal aushalten konnte.
Langsam stand sie auf und sah ihn an, ihre Lippen waren plötzlich trocken. Kaum hatte er den Rucksack über seine linke starke Schulter geworfen, drehte er sich um und erwiderte ihren Blick. Laurel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann grinste er und streckte die Hand aus.
»Hallo.« Er strahlte sie fast zu sehr an. »Anscheinend sitzen wir zusammen an einem Pult. Darf ich mich vorstellen – ich bin Tam.«
Sie gaben sich die Hände und bewegten sie auf und ab, aber das war allein Tamanis Werk. Laurels Arm war ganz schlaff geworden. Sie stand noch einige Augenblicke schweigend da, bis Tamanis Blick dringlicher wurde und beinahe zornig wirkte. »Oh«, sagte sie mit Verspätung, »ich bin Laurel. Laurel Sewell. Angenehm.« Angenehm ? Seit wann sagte sie »angenehm?« Und warum schüttelte er ihre Hand wie ein blöder Verkäufer?
Tamani holte einen Stundenplan aus der Hosentasche. »Mein nächster Kurs ist Englisch bei Mrs Cain. Wärest du vielleicht so nett, mir den Raum zu zeigen?«
War sie nun erleichtert oder enttäuscht, weil sie die zweite Stunde nicht mehr zusammen hatten?
»Selbstverständlich«, antwortete sie munter. »Du musst ans andere Ende des Ganges.« Laurel packte gemächlich ihre Sachen zusammen, um Zeit zu schinden, bis alle Schüler den Klassenraum verlassen hatten. Dann ging sie ganz nah an Tamani heran. »Was tust du hier?«
»Freust du dich, mich zu sehen?«
Sie nickte und erlaubte sich ein Lächeln.
Er grinste zurück und strahlte sichtlich erleichtert. Laurel fühlte sich sogleich besser, weil auch er offenbar gewisse Ängste ausgestanden hatte.
»Warum …«
Tamani schüttelte leicht den Kopf und wies in den Gang. Als sie fast an der Tür waren, nahm er ihren Ellbogen und blieb stehen. »Können wir uns nach der Schule im Wald hinter deinem Haus treffen?«, fragte er leise. »Dann erkläre ich dir das alles.« Er hielt inne und hob dann unnatürlich rasch die Hand, um ihre Wange zu streicheln. Als sie es spürte, hatte er die Hände schon wieder in den Hosentaschen und schlenderte aus dem Raum.
»Tama – Tam?«, rief sie und holte ihn ein. »Warte, ich zeige dir, wo du hinmusst.«
Er grinste und lachte. »Also wirklich«, sagte er kaum hörbar. »Glaubst du etwa, ich wäre schlecht vorbereitet? Ich kenne diese Schule besser als du.« Dann zwinkerte er ihr noch mal zu, und weg war er.
»Wahnsinn!«, quietschte Chelsea, sprang Laurel von hinten an und entriss David beinahe ihre Hände. »Der Elfenjunge ist in meinem Englisch-Kurs, und so was von! Beeil dich, erzähl schon, bevor Ryan auftaucht!«
»Psst!«, zischte Laurel und sah sich um. Niemand beachtete sie.
»Er ist total süß«, sagte Chelsea. »Alle Mädchen stehen auf ihn. Oh, und der Junge aus Japan ist in meinem Mathe-Kurs, obwohl er erst fünfzehn ist. Was glaubt ihr,
wann man in amerikanischen Schulen endlich begreift, dass es da draußen eine Weltwirtschaft gibt?« Sie machte eine Pause und riss
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