Elfenbann
sechzig Sekunden Zeit, um sie durchzulesen und dreißig Sekunden für die Präsentation.«
Jetzt wurde doch gemurmelt.
»Wenn sie als Redner überzeugen wollen«, übertönte Mr Petersen den Lärm, »müssen Sie heute Ihre Mitschüler dazu bringen, sich mit Ihnen treffen zu wollen. Selbstverständlich bei einem alkoholfreien Drink.« Er schmunzelte über seinen lahmen Witz. Nachdem wieder niemand etwas dazu sagte, räusperte er sich und fuhr fort. »Ich habe das Material unter hohem Zeitaufwand zusammengestellt, deshalb wird die heutige Rede zu zehn Prozent in die Monatsnote der Präsentation einfließen«, erklärte er. »Nehmen Sie die Aufgabe also nicht auf die leichte Schulter.« Als die Schüler stöhnten, hob Mr Petersen die Hände. »Die Aufgabenverteilung ist dem Zufall überlassen. Machen Sie mit, Sie werden sich wundern, wie viel Spaß es macht.«
Das glaubte ihm keiner.
Die nächste Viertelstunde verbrachte Laurel angesichts der Vorstellungen ihrer Klassenkameraden mit Fremdschämen und der Angst davor dranzukommen. Die meisten schauspielerten mit großen Hundeaugen und übertriebenen Posen, während sie Mr Petersens kitschige Kontaktanzeigen bearbeiteten. Laurel konnte es fast nicht glauben, dass Erwachsene wirklich solche Dinge über sich selbst sagten wie Ich bin ein süßer Romeo ohne Julia oder Ich bin sinnlich, sexy und superlustig . Das konnten sie doch nicht ernst meinen?
»Tam Collins.«
Einige Mädchen in Laurels Nähe flüsterten aufgeregt. Sie hatten die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Laurel wollte unters Pult kriechen und sterben.
Tam nahm den Zettel, den Mr Petersen ihm reichte, stellte sich vor die Klasse und las ihn genau sechzig Sekunden lang durch.
»Und … los«, sagte Mr Petersen, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Tamani hob den Blick, aber anstatt zu reden, nahm er sich ein paar Sekunden Zeit, einigen Mädchen tief in die Augen zu sehen.
»Einsamer schottischer Single«, sagte er mit tiefer Stimme und starkem Akzent, »sucht schöne Frau.«
Alle menschlichen Mädchen in der Klasse seufzten auf. Laurel war gespannt, wie viele Freiheiten Tamani sich bei dieser Aufgabe erlauben würde.
»Ich suche nach der Einen, ohne die mein Leben nicht vollständig ist. Ich sehne mich nach einer Frau, mit der ich den Alltag teilen und der ich mein Herz schenken kann. Dabei geht es mir nicht so sehr ums Vergnügen als um eine feste Bindung und … Intimität.« Wenn jemand anders das gesagt hätte, gäbe es jetzt Pfiffe und Buhrufe. Doch aus Tamanis Mund klang der Satz wirklich einladend und sexy.
»Ich bin Mitte Zwanzig, mag laute Musik, gutes Essen und …« Hier legte er eine dramatische Pause ein. » … und Bewegung. Ich suche ein kreatives, künstlerisch angehauchtes und musikalisches Mädchen« – er sah Laurel an, nur ganz kurz – »mit der gleichen Vorliebe für schöne Dinge, wie ich sie habe. Suchst du nach etwas Realem in
dieser Welt der Illusionen? Ruf mich an. Für Affären bin ich nicht zu haben. Ich suche nach der wahren Liebe.«
Ohne ein weiteres Wort zerknüllte Tamani den Zettel, steckte ihn in die Tasche und setzte sich wieder.
Die Mädchen applaudierten wie wild, einige pfiffen begeistert.
Laurel wand sich innerlich und legte den Kopf auf den Tisch. Da musste sie jetzt durch, es half alles nichts.
Nach der Schule konnte Laurel gar nicht schnell genug wegkommen. Sie wusste, wie schwach ihre eigene Rede gewesen war, aber was konnte sie an so einem Tag schon erwarten?
Es war ihr gelungen, den ganzen Tag nicht mit David zu reden, aber sie konnte es nicht bis zum Sanktnimmerleinstag aufschieben. Doch was sollte sie sagen? Dass sie ihn noch liebte und nur nicht wusste, ob sie ihn genug und auf die richtige Weise liebte? Oder dass sie nicht sicher war, ob sie den Rest ihres Lebens auf die Chance verzichten sollte, mit Tamani zusammen zu sein – so richtig richtig reinen Gewissens, um zu testen, ob es so gut war wie in ihren Träumen? Dass sie voreilig gehandelt hatte, dass es ein Fehler war und sie ihn wiederhaben wollte? Oder dass sie Zeit brauchte – vielleicht ohne den einen und ohne den anderen –, damit sie herausfand, was sie wirklich wollte?
Auf dem Grundstück hatte es sich nicht wie ein Fehler angefühlt. Doch nachdem sie an diesem Morgen Davids Gesicht gesehen hatte, sehnte sie sich nach ihm. Sie wollte alles wieder gut machen. Und warum? Weil sie
ihn wie einen Freund lieb hatte oder etwa, weil sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher